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Dienstag, 7. April 2009

Vier Blaue und ein Rosaroter

Herta hat heute Geburtstag. Am Vormittag hat sie eingekauft, fürs Abendessen. Beim Bäcker war sie und beim Fleischhauer und im Bauernladen. Herta kauft nie im Supermarkt ein. Sie kennt sich mit den Zahlen nicht so gut aus, und mit den Buchstaben auch nicht. Ein paar Jahre hat es gedauert, bis Emma Rogner das kapiert hat. Emma Rogner ist die Sachwalterin von Frau Herta, seit vielen Jahren schon.
Erst, als Herta einmal in der Pizzeria die Speisekarte verkehrt gehalten und ein Schnitzel bestellt hat, obwohl gar kein Schnitzel auf der Karte stand, hat Emma gemerkt, dass Herta Analphabetin ist. Herta hat sich geschämt, und Emma hat sich auch geschämt, weil sie ihrer Klientin schon ein paar Mal Tiefkühlkost aus dem Supermarkt mitgebracht und sich bei ihrem nächsten Hausbesuch gewundert hat, dass die Packungen mit den Gemüseleibchen und Cevapcici ungeöffnet im Mistkübel gelegen sind. Herta kann nicht lesen, wie man sie richtig zubereitet. Deshalb kauft sie lieber beim Fleischhauer ein. Der bedient nicht nur, der bedient sich auch selbst. Aus ihrer Brieftasche. Darfs ein bisserl mehr sein?
Fürs Mittagessen braucht sie diesmal nichts, erzählt sie dem Fleischhauer, heute geht sie nämlich essen.

Heute ist Herta sechzig.
Herta kennt viele Leute im Ort, nicht nur den Fleischhauer. Auch die Friseurin, den Bankbeamten, den Besitzer vom Würstelstand, an dem ihr Verblichener viel zu viel Bier trank, die Verkäuferin vom Bäcker, die Eigentümerin der Tierboutique.
Sie sind alle nett zu Herta, grüßen freundlich, fragen, wie es geht und überhören höflich, dass es ihr schlecht geht. Sie mögen Herta. Aber ihren Geburtstag feiern will keiner mit ihr.

Deshalb feiert sie ihren Geburtstag mit Emma Rogner. Die hat ihr einen großen Blumenstrauß mitgebracht, aus lachsrosa Gerbera und gelben Nelken. Nelken sind die Lieblingsblumen von Herta. Sie legt den Blumenstrauß zur Seite ohne ihn genau anzuschauen oder daran zu riechen. „Danke.“
„Finden Sie die Blumen schön?“
„Ja. Passt.“
Den Blumenstrauß hat Emma Rogner von Hertas Geld bezahlt, aber das sagt sie ihr nicht, weil es so traurig ist, dass die einzigen Blumen, die Herta zum Sechziger bekommt, von ihrem eigenen Geld bezahlt sind.

Emma liest ihrer Klientin aus der Speisekarte vor und weil heute ein ganz besonderer Tag ist, wählt Herta kein Schnitzel, sondern einen Grillteller. Den teilt sie mit ihrem Hund.
„Haben Sie sich extra Urlaub genommen, um mit mir zu feiern?“, fragt Herta und Emma nickt. Sie verschweigt, dass der Besuch für sie Arbeit ist und natürlich in der Dienstzeit stattfindet. Warum die Frau noch mehr enttäuschen als es das Leben ohnehin schon getan hat?

„Früher oder später wäre er sowieso draufgegangen“, sagt sie über ihren Lebensgefährten, der vor ein paar Monaten gestorben ist. Es ist, als spräche sie über einen altersschwachen Hamster, der das Zeitliche gesegnet hat. Dann weint sie, weil niemand da ist, wenn sie vom Einkaufen nach Hause kommt, außer dem Hund. Ein Spitz. Er ist auch nicht mehr der jüngste. „Wenn der auch draufgeht“, sagt sie, „dann leg ich mir aber einen neuen zu“, und meint den Hund, nicht den Mann.

Ein bisschen mehr Geld hätte sie gern zur Verfügung, sagt Herta beim Apfelstrudel, weil der Fleischhauer teurer geworden ist. „Der verlangt jetzt fünfzig für ein Menü.“
„Wie viel können sie im Moment wöchentlich beheben?“, fragt Emma nach.
„Vier Blaue und einen Rosaroten.“ Herta weiß Bescheid.
„Dann machen wir ab jetzt einen Grünen?“, schlägt Emma vor, doch Herta schüttelt energisch den Kopf. Einer ist ja viel weniger als viele.
„Fünf Blaue?“ Herta denkt kurz nach, dann lehnt sie erneut ab.
„Vier Blaue und zwei Rosorate?“ Das scheint ein Kompromiss.
„Ja. Passt.“

„Feiern wir den Siebziger auch wieder gemeinsam?“, will Herta zum Abschied wissen. „Also in vier Jahren?“
„In zehn Jahren“, korrigiert Emma.
„In zehn erst? Das erleb ich eh nimmer.“
"Dann feiern wir halt nächstes Jahr wieder."
"Ja. Passt."

Sonntag, 29. März 2009

Glück

Ich bin ja meistens aufgeregt vor Lesungen. Das gehört dazu, ich weiß, das hebt den Adrenalinspiegel und erhöht die Spannung, die wiederum notwendig ist, um wirklich gut zu lesen. Daran hab ich mich halbwegs gewöhnt.

Trotzdem war der Freitag ein ganz besonderer Tag. Eleonore und ich traten nämlich nicht vor einem mir mehr oder weniger fremden Publikum auf, sondern vor dem schwierigsten, das es gibt. Vor meinen kritischen Kollegen und Vorgesetzten, anlässlich der Eröffnung unseres neuen Standortes.
Die Spannung war noch dazu nicht erst kurz vor der Lesung groß, sondern schon den ganzen Tag, denn ich fühlte mich (und war wohl auch ein bisschen) für das Gelingen der ganzen Feierlichkeiten verantwortlich. Kommt der Flieger mit dem deutschen Gastreferenten pünktlich an? Reicht das Buffet für alle? Werden die Ansprachen pointiert und eloquent oder lähmend und langweilig sein? Wird das Essen rechtzeitig geliefert? Funktionieren Laptop, Beamer und Mischpult? Tappe ich in im Weg stehende Fettnäpfchen? Ist genug Sekt eingekühlt? Werden sie Eleonores Gesang lieben? Und mich?

Kurz vor unserem Auftritt die Frage, die ich mir immer stelle, wenn ich auftrete und noch kurz die Texte überfliegen. Sind meine Texte gut genug? Bin ich gut genug? (Die Antwort auf diese Fragen lautet in diesen Momenten immer "nein", oder wahlweise "definitiv nicht."
Länger als sonst habe ich diesmal überlegt, welche Texte ich lese. Und noch länger überlegt, welche ich auf keinen Fall lese. Es war eine Gratwanderung. Mir war klar, ich zeige an diesem Tag eine Seite von mir, die die meisten der Anwesenden nicht kennen, obwohl sie natürlich alle wissen, dass ich neben meiner Arbeit auch "ein bisschen schreibe". Mir war klar, dass ich mit jedem meiner Texte - und seien sie noch so harmlos und brav - viel von mir preisgebe. Meine Gedanken, Gefühle, Haltungen. Wie werden sie darauf reagieren?

Herzklopfen. Hirntosen. Gänsehaut. Angst. Alle Sessel besetzt, ein paar Leute mussten sogar stehen.

Dann Flötenklänge von Eleonore. Und plötzlich vollkommene Ruhe. Konzentration. Ganz tief tauche ich ein in meine Geschichten, so, als würde ich sie das erste Mal hören und von den Pointen und Wendungen selbst überrascht sein. Ich bin ganz bei mir. Und bei den Figuren in den Geschichten. Ich bin Hilde, die aus dem Jenseits spricht. Mathilde, die mit Raki Goa Fish isst, Lieselotte, die nach dem Geriatriekongress mit dem Referenten schläft. Ich bin sie alle und trotzdem ganz ich. Und spüre , dass das Publikum bei mir ist. Als Eleonore "Dreamland" singt, fühle ich Gänsehaut und Stolz, mit ihr gemeinsam auftreten zu dürfen.

Applaus. Lachen. Tränen in den Augen meiner Vorgesetzten, diesmal nicht aus Unmut über meine Arbeitsleistung.

In mir tief empfundenes Glück. Demut. Dankbarkeit. Es gibt nichts Schöneres, als Menschen mit dem, was man gerne macht, zu berühren. Deshalb lese ich. Deshalb lebe ich.

Später dann im Stroboskopgewitter und im Disconebel die Anspannung von mir schütteln. Zu "Gloria" tanzen und zu "Arbeit nervt". Und stolz zu sein auf den Lieblingskollegen, der das gleiche tut wie ich. Nämlich mit seiner Leidenschaft (in diesem Fall für die Musik) die Menschen zu unterhalten und berühren. Als grandioser DJ.

Thanks. Allen KollegInnen, die trotz aller Dissonanzen, die es immer wieder gibt, dazu beigetragen haben, dass der Tag ein harmonischer war. Das sind die Momente, in denen ich spüre, warum ich noch immer gerne arbeite, wo ich arbeite. Der Menschen wegen.

Dienstag, 24. März 2009

Einladung

Erotische Ausstellung mit Lesung
in Stockerau

sex1

Die KünstlerInnen Ludmilla Wingelmaier, Gerda Müller, Renate Fahrnik, Wolfgang Peterl, Karl Hiesinger und Georg Niemann schaffen mit ihren Kunstwerken eine erotische Wunderwelt von knisternden Gefühlen bis zur Freiheit der Liebe.

Eröffnung am Donnerstag, 2.4.2009 um 19.30

Barbara A. Lehner liest erotische Geschichten

Belvedereschlössl
Belvederegasse 3
2000 Stockerau

Ich freue mich, wenn ihr kommt ;-)

Samstag, 21. März 2009

Nackt

Er schaute sie an.
Nackt und reglos lag sie da, ihren Oberkörper ihm zugewandt, die Beine leicht angewinkelt, den Kopf auf den linken Arm gestützt. Ihre rechte Hand ruhte auf ihrer ausladenden Hüfte. Ihre Scham schamlos unverhüllt.
Er strich konzentriert über ihren Hals, berührte behutsam ihre Brüste, widmete sich ihrem Bauchnabel. Mitten in der Bewegung hielt er abrupt inne, stand auf und trat ein paar Schritte zurück.

„Du findest mich nicht schön, oder?“, fragte sie.
Er erschrak. Fühlte sich ertappt. Zögerte mit seiner Antwort.
„Doch, doch. Nicht schön im herkömmlichen Sinn. Aber schön.“
„Ist es wegen meiner Hüften? Ich weiß, sie sind eine Spur zu üppig geraten.“
„Nein.“ Er dachte nach. „Das ist es nicht.“ Er kam wieder näher und fuhr mit den Fingern erst durch ihr Haar und dann sanft über ihre Hüften. „Das passt schon so. Ich steh ohnehin nicht auf verhungernde Frauen.“
„Was also gefällt dir nicht an mir?“
„Ich weiß es wirklich nicht.“ In seinem Gesicht spiegelte sich Verzweiflung. „Ich wünschte doch auch, es wäre anders.“
Jetzt schwieg sie wieder und er hatte das Gefühl, sie blickte ihn leer und leidend an.
„Ich habe eine Ahnung, woran es liegen könnte. Es ist nicht der Körper, der ist gut, wie er ist, auch die Proportionen stimmen. Es ist das Gesicht, der Ausdruck. Der fehlende Ausdruck. Du wirkst... du wirkst irgendwie so nackt auf mich."
"Ich bin nackt", erinnerte sie ihn.
"Ja, ich weiß, aber da ist kein Geheimnis hinter deinen schönen Augen, verstehst du?“
Sie antwortete nicht.
„Ich fürchte, dir fehlt die Seele“, fuhr er fort, „das Feuer in den Augen. Weißt du, was ich meine?“ Er redete sich immer tiefer in den Strudel hinein. „Man spürt nichts von deinen Gefühlen, deinen Ängsten, deinen Träumen und deinen Hoffnungen. Dein Charakter wirkt so beliebig, so austauschbar.“
Sie schwieg weiter.
Wahrscheinlich hört das keine Frau gerne, dachte er. Jetzt hatte er sie gekränkt, ohne es zu wollen. Aber er konnte seine Worte nicht mehr zurücknehmen.
„Tut mir Leid“, er fuhr ihre langen, festen Beine entlang, „ich kann es nicht besser in Worte fassen. Außerdem kannst du nichts dafür. Vielleicht liegt es ja an mir. Bestimmt sogar liegt es an mir.“

Er hörte Schritte und warf hastig das Leinentuch über sie. „Ich bin gleich wieder bei dir.“ Er ging zur Tür.
„Darf ich reinkommen?“, fragte die Stimme, die zu den Schritten gehörte und drückte die Klinke nach unten. Zum Glück hatte er den Schlüssel vorher umgedreht.
„Lieber... lieber nicht“, rief er durch die versperrte Tür, „ich bin noch nicht so weit.“
„Hm. Schade.“ Die Schritte entfernten sich.

Vorsichtig nahm er das Tuch wieder von ihr und legte seine Hand auf ihren Po. Täuschte er sich, oder funkelte sie ihn jetzt wütend an?
„Das ist gut, das ist sehr gut“, sagte er, denn ihre Augen verwandelten sich in glühende Kohlenstücke, auf der Stirn bildeten sich winzige Fältchen, kaum wahrnehmbar, aber sie drückten deutlich ihre Missbilligung aus, die Konturen ihrer Lippen wurden schärfer, gerade so als wollte sie ihm wüste Beleidigungen an den Kopf werfen. Deshalb verwischte er mit dem Finger ihre roten Lippen. „Großartig“, sagte er, „diese zornige Schlampigkeit lässt dich viel lebendiger wirken.“
„Arschloch“, zischte sie.
„Ich wollte dich nicht verstecken“, murmelte er und malte weiter, „aber meine Frau hat kein Verständnis dafür, wenn ich mit der Leinwand spreche.“

Donnerstag, 19. März 2009

Der Alte

Vor ein paar Wochen hab ich mit ihm Schluss gemacht. „Es tut mir leid", hab ich gelogen, "aber wir passen einfach nicht mehr zusammen."
Das wollte er nicht hören. An all die schönen Zeiten hat er mich erinnert, an die Spaziergänge im Schnee und das Glitzern in Natur und Augen und gefleht, dass er bleiben darf. „Ich liebe dich nicht mehr“, hab ich gesagt und gewusst, es muss ziemlich hart geklungen haben. Die Wahrheit wäre noch viel härter gewesen. Ich habe ihn nie geliebt. Ich habe ihn akzeptiert, wir haben uns arrangiert, aber geliebt, nein, geliebt hab ich ihn nie.
Beleidigt, wütend und schluchzend ist er abgezogen. „Du wirst noch von mir hören“, hat er gedroht. Und sollte recht behalten.

Heute früh war er wieder da. Mit Gepäck. Ich hätte besser durch den Spion schauen sollen, aber vertrauensselig wie ich nun mal bin, habe ich ihm ahnungslos geöffnet. Es hätte ja auch sein können, dass es der Mann von der Lottogesellschaft ist oder wenigstens der Hausverstand, mit einem Blumenstrauß.
Ich wollte schnell zumachen, aber er war wieder einmal schneller und hatte schon einen Fuß in der Tür. „Hier bin ich wieder, Liebes“, hat er gegrinst und seine schweren Taschen abgestellt. „Schau, ich hab dir was mitgebracht.“
„Hau ab. Ich will deine Geschenke nicht. Ich brauche dich nicht mehr. Und ich liebe dich auch nicht mehr, das hab ich doch schon mal gesagt. Was willst du also hier?“
„Aber ich liebe dich.“ Als würde das reichen, um wieder hier einzuziehen. „Ich habe dich immer geliebt.“
Es kostet mich viel Kraft, die Tür zuzudrücken, aber ich werde es nicht zulassen, dass er sich wieder hier breit macht.
„Neue Schuhe?“ Er blickt auf meine Sandalen und grinst.
„Das geht dich gar nichts an.“
„Komm schon, Süße“, säuselt er jetzt, „lass mich rein, es ist kalt.“
„Ich weiß. Selber Schuld. Außerdem… außerdem geht das nicht…“
„Und warum nicht, wenn ich fragen darf.“
„Es gibt da einen Neuen.“
„Du konntest es wohl gar nicht erwarten, wie? Ist er wenigstens gut im… du weißt schon…?“
Am liebsten würde ich ihm ins Gesicht spucken, aber ich weiß aus Erfahrung, dass er dann erst recht bockig und trotzig wird. „Er ist zärtlicher als du“, sage ich deshalb nur, „und wärmer.“
„Und wo ist der Neue?“
„Er schläft noch. Aber er wird bald aufstehen. Besser du verziehst dich, sonst wird er sauer.“
„Und wie heißt er, der Neue?“
„Frühling.“

"Hohoho, der war gut!"
Der Winter ist ein zynisches Arschloch.

Dienstag, 17. März 2009

Man reiche mir den Becher

Frau Dr. Blubb in der Küche







Na gut, andere nehmen Drogen und so.

Sonntag, 15. März 2009

Die Brücke

„Oma“, zischte Anna-Sophie und zog den Stöpsel aus dem linken Ohr, „du bist voll peinlich. Lass den Kerl in Ruhe lesen und starr ihn nicht so auffällig an.“
„Kindchen“, flüsterte Oma Johanna zurück, „erstens bin ich Witwe, zweitens alt genug und drittens muss ich so starren, weil ich meine Augengläser vergessen habe.“

„Herr Doktor Kammerlander, wenn Sie bitte im Ordinationsraum Corona Dentis Platz nehmen. Die Frau Doktor kommt gleich.“
„Schade“, fand Johanna, als der alte Herr das Wartezimmer verließ und in der Krone verschwand, „den fand ich richtig adrett und kultiviert.“
„Gott sei Dank“, fand Anna-Sophie, stöpstelte das Ohr wieder zu und beschäftigte sich mit ihrem iPhone.
„Doktor Karl Kammerlander“, las sie nach einer Minute vor, „er wohnt in der Pestalozzi-Straße siebzehn. Frauenname steht keiner dabei, also lebt er wahrscheinlich alleine.“


Doktor Karl Kammerlander, Kulturattaché in Ruhe, lag auf dem elektrischen Stuhl und klammerte sich an dessen Armlehne, als die Ärztin den Sessel zurückklappte und die Folterinstrumente auspackte. Er sollte eine Brücke bekommen, seine zweite schon.
„Es wird gar nicht weh tun, Herr Doktor Kammerlander“, sagte sie. Das sagte sie immer und es tat immer weh. Trotzdem beruhigten die sanften Worte ihn ein wenig und er öffnete gehorsam den Mund.
Das laute Piepsen, das aus seiner Sakkotasche kam, beruhigte ihn keineswegs, man könnte sogar behaupten, dass es ihn in seiner Hartnäckigkeit beunruhigte.
Seine Kinder hatten ihm das Handy zu Weihnachten geschenkt, obwohl sie wussten, dass er es verabscheute, immer und überall erreichbar zu sein. Damit du uns jederzeit anrufen kannst, wenn du Hilfe brauchst, hatten sie gesagt und er hatte Freude geheuchelt. Ein Seniorenhandy, mit extra großen Tasten und überdimensionalem Display. Er war achtundsechzig und nicht siebenundneunzig. In Wahrheit waren sie es, die Hilfe brauchten, weil der Rasenmäher nicht ansprang, die Steuererklärung nicht fertig oder das Konto überzogen war. Also unentwegt. Das Gerät abschalten traute er sich aber auch nicht, es könnte ja sein, dass tatsächlich einmal etwas wirklich Wichtiges geschah.
Nun saß er da in der Zahnarztpraxis, mit Absauger im Mund und Angst im Bauch und es hörte nicht auf zu piepsen.
„Entschuldigung“, sagte er, nur weit weniger deutlich, „wenn Sie mich bitte wieder in die aufrechte Haltung manövrieren könnten?“


„COOLE KRAWATTE, KARL“, las er. Und eine ihm unbekannte Nummer. Er senkte seinen Blick, aber da baumelte keine Krawatte, sondern ein Kleinkinderlatz aus Papier.
„WER FINDET DAS DENN?“ tippte er verunsichert, mit der Geschwindigkeit einer Weinbergschnecke, löschte das Geschriebene aber gleich wieder, denn damit outete er sich als gänzlich uncool. Er würde so tun, als wäre es das Normalste auf der Welt, von einer (oder gar einem?) Unbekannten per SMS Komplimente über seine Krawatte zu bekommen.
„COOLE KRAWATTE – COOLER KARL“, schrieb er knapp.
„COOLER KARL – WARMES HERZ? ;-) Antwort und Frage kamen prompt.

„Entschuldigung“, wandte er sich an die Zahnärztin, „was bedeutet Semikolon, Bindestrich und Klammer zu?
Die Zahnärztin schaute auf das Display. „Das ist ein Zwinkersmiley. Können wir jetzt weitermachen, Herr Doktor?“
Er errötete. „Ja. Einen Moment noch.“
COOLER KARL – WARMES HERZ – KALTE FÜSSE - KAPUTTER ZAHN. OVER.
Er schaltete das Handy auf lautlos, lehnte sich zurück und öffnete den Mund.


„Bist du übergeschnappt?“, fauchte Johanna im Wartezimmer ihrer Enkeltochter zu, die mit beiden Daumen wie der Teufel auf den winzigen Bildschirm tippte, doch dem Fauchen wohnte ein Schmunzeln inne. „Was machst du da?“
„Ich kommuniziere mit Karl. Für dich.“
„Kein Wort zu Mama, kapiert? Sonst kannst du das nächste Mal mit dem Fahrrad fahren, um deine Zahnspange einstellen zu lassen.“
„Kapiert. Willst du ihn treffen?“
„Wie bitte?“
„Na soll ich ein Date für dich checken?“
„Ein Date? Du meinst, ein Rendezvous?“
„Was ist ein Rendezvous?“
„Vermutlich ein Date.“


„Anna Sophie, du kannst schon im Raum Pulpa Platz nehmen. Möchtest du, dass deine Oma mitkommt?“
„Um Gottes Willen, nein! Die fürchtet sich ja mehr als ich.“



Als Karl in der Pestalozzistraße aus dem Bus stieg, hatte er einiges erfahren. Zum Beispiel, dass es sich bei der Schreiberin der Kurzmitteilungen tatsächlich um eine Sie handelte, eine Sie, die nur ein paar Jahre jünger war als er und ebenfalls verwitwet. Der Lieblingsfilm der Sie war "Die Brücken am Fluss" mit Clint Eastwood. Sie konnte Russisch, aß gern Japanisch, kochte am liebsten Italienisch, liebte die Deutschen Klassiker und ging gern ins Theater. Vor allem die Dramen Schillers hätten es ihr angetan, schrieb sie. Die Sie hatte auf jeden Fall Humor, denn auf die Frage, welches von Schillers Stücken sie bevorzugte, antwortete sie mit: NATÜRLICH HAMLET. Das Aufregendste an dieser Sie jedoch war: Sie wollte sich mit ihm treffen. Morgen. Im Theatercafé. Karl hatte sich seit Jahren nicht mehr mit einer SIE getroffen, zumindest nicht so. So hatte er aber ohnehin überhaupt noch nie jemanden kennen gelernt.
Welche nehme ich am besten?, überlegte er vor dem Schrank mit den Krawatten und entschied sich für eine dezente in Orange und Braun.


„Wer ist denn Karl?“, warf Anna-Sophies Mutter die Palatschinke in die Luft und fing sie wieder auf.
Anna-Sophie zuckte zusammen. „Ach... wie...?“
Ihr Vater hob eine Augenbraue. „Wer bitte nennt sein Kind heute Karl? Mit einem Karl brauchst du mir gar nicht nach Hause kommen. Lukas oder Sebastian, wenn es sein muss, aber doch nicht Karl.“
„Tut mir leid, Anna-Sophie“, sagte ihre Mutter. "Wie du weißt, lese ich deine SMS für gewöhnlich nicht. Aber auf deinem neuen Handy öffnen sich die Nachrichten von selbst. Ich konnte also gar nicht anders.“
„Schon gut... Wir... wir... wir haben uns beim Zahnarzt kennen gelernt. Oma war auch dabei. Es ist nicht, wie ihr denkt.“
„Wie denken wir denn?“
„Hm. Keine Ahnung.“
„Er schreibt, 15 Uhr im Theatercafé geht in Ordnung. Und du mögest eine Ausgabe von Shakespeares Räuber bei dir haben.“ Sie rollte Augen und Palatschinken. „Kannst du dir nicht einen Burschen mit ein bisschen mehr Allgemeinbildung suchen?“

Montag, 9. März 2009

Think (pink) orange

Einfach abstreifen, denkt sie, diese verletzte und verletzliche, durchscheinende Haut. Abstreifen und in die Elefantenhaut schlüpfen, die sie in vielen, langen, dunkeln Träumen angemessen, zugeschnitten und genäht hat. Da ein paar Abnäher, dort Stulpen, hier dicke Schulterpolster und da einen Reißverschluss, damit sie keine Zeit verliert, wenn die alte spannt und nahe am Zerreißen ist. Noch ist er nicht fertig, der neue Anzug, die Nähte noch nicht fest genug.

Es gibt ein paar Stellen auf ihrer Haut, die hat es besonders schlimm erwischt in den letzten Jahren, die sind abgenützt und zerschrunden. Anstatt sie unter dicken Pullovern zu verstecken, trägt sie sie offen zur Schau, ihre Verletzlichkeit. Lädt ein zum Hineinstechen, weil sie hofft, dass jemand liebe Worte und ein sanftes Lächeln daraufstreicht, aber in Wahrheit streuen sie Salz hinein. Dabei lächeln sie und murmeln: Wir meinen es nur gut.
Wahrscheinlich glauben sie das sogar.

In den dunkelsten der dunklen Nächte sagt sie sich, wahrscheinlich haben sie Recht, wenn sie dich verletzen und wie sie über dich urteilen. Wahrscheinlich bist du tatsächlich eine lausige Mutter, eine, der die falschen Dinge wichtig sind. Andere Mütter können das bestimmt, denkt sie sich in einer von diesen Nächten, die kein Ende nehmen wollen, die kriegen alles unter einen Hut. Andere Mütter opfern sich auf, sind gerecht, sie sind berufstätig, haben keine Schuld und keine Schulden und vereinbaren trotzdem rechtzeitig Zahnarzttermine. Sie gehen mit den Kindern schwimmen, obwohl sie Schwimmbäder hassen. Andere Frauen sind nicht solche Versagerinnen, denkt sie, die kommen nicht nur mit ihrem Leben klar, sondern auch mit den Leben ihrer Lieben. Alle können das, nur sie selbst nicht. So denkt sie, wenn der Morgen graut und das Kissen kein Salzwasser mehr aufsaugen kann.

Dann setzt sie sich an ihre alte Singer-Traumnähmaschine und lässt die Nadel rattern. Als die Sonne aufgeht, sind die Elefantenhautellbogenschoner fast fertig. Sie schlüpft hinein. Ich weiß nicht, denkt sie, ich fürchte, die stehen mir nicht.

„Sieh es positiv“, sagt eine Stimme zu ihr.
„Und wie?“
„In diesem Haus verkehren ausschließlich Versager. Du bist nicht allein.“

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
Jakob und der gewisse Herr Stinki


Barbara A. Lehner (Text) Eleonore Petzel (Musik)
Von Herzen und Seelen - CD

Neu

"Pinguin"
"Pinguin"
bonanzaMARGOT - 11. Mär, 11:11
Sleepless im Weinviertel
Ich liege im Bett. Ich bin müde. Ich lese. Eine Romanbiografie...
testsiegerin - 13. Jan, 11:30
... ich könnte mal wieder...
... ich könnte mal wieder eine brasko-geschichte schreiben.
bonanzaMARGOT - 8. Jan, 07:05
OHHH!
OHHH! Hier scheint bei Twoday etwas nicht zu stimmen. Hoffentlich...
Lo - 7. Jan, 13:36
OHHH!
OHHH! Hier scheint bei Twoday etwas nicht zu stimmen. Hoffentlich...
Lo - 7. Jan, 13:36
loving it :-)
loving it :-)
viennacat - 2. Jan, 00:51
Keine weiße Weste
Weihnachtsgeschichte in 3 Akten 1. „Iss noch was,...
testsiegerin - 16. Dez, 20:31
ignorier das und scroll...
ignorier das und scroll weiter nach unten.
testsiegerin - 27. Okt, 16:22

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