Ich weiß, es ist alles gesagt... aber noch nicht von allen. Ich mag mich auch noch ganz persönlich von dir verabschieden und nicht nur in Form von Punkten, die ich unter andere Verabschiedungen setze, weil sie es – weil sie dich – so gut getroffen haben. Außerdem denke ich, dass es A. vielleicht gut tut, noch einmal zu spüren, wie sehr dich alle hier gemocht, geschätzt, geliebt haben. Obwohl er das wahrscheinlich längst weiß.
Alle haben dich ins Herz geschlossen. Alle. Ich hab dich manchmal darum beneidet. Aber nur darum. Um den Schmerz, den du ertragen musstest, natürlich nicht. Vielleicht war diese Liebe, die du von allen bekommen hast, ein bisschen ein Ausgleich. Obwohl ich das Schicksal für nicht so überlegt halte.
So gern würde ich jetzt mit dir irgendwo sitzen und ein schweres Glas Rotwein trinken. So gerne würde ich mit dir reden. So viele Fragen hätte ich noch.
Du hast auf mich nie gewirkt, als würdest du mit deinem Schicksal hadern, zornig sein auf deine Krankheit, wütend, dass sie sich ausgerechnet dich ausgesucht hat. Jetzt würde ich gern wissen, ob das tatsächlich so war, ob du es wirklich geschafft hast, so sehr das Gute zu sehen, das Schöne, dass das Schlimme ein wenig von seinem Schrecken verloren hat. Ich würde so gerne wissen, ob du Angst hattest vorm Gehen oder ob es sich leicht angefühlt hat, weil sogar in diesen Augenblicken deine Zuversicht und deine Augen alles überstrahlt haben. Und wie es da drüben ist, das würde ich dich auch gern fragen, und ob die anderen dort deine Filmrätsel erraten.
Weißt du, ich tröste mich ein bisschen damit, dass die ganze Liebe, die sich bei anderen Menschen - wenn sie Glück haben - auf ein vielleicht langes Leben aufteilt, bei dir komprimiert war.
Und weißt du, manche Leute tun Blogfreundschaften als virtuell und nicht echt ab. Diese Leute haben keine Ahnung vom Leben. Diese Leute wissen nicht, was es bedeutet, wenn man sich von innen nach außen kennenlernt. Wenn man die Fassade nicht braucht.
Trotzdem bin ich unendlich dankbar, dich auch im sogenannten „richtigen“ Leben kennengelernt zu haben, dein Gast gewesen sein zu dürfen. Das hat nur bestätigt, was ich ohnehin schon wusste. Dass du ein liebenswerter, kreativer, warmherziger, offener, großzügiger, humorvoller, geistreicher Mensch bist/warst. Eine wunderschöne Frau noch dazu.
Weißt du, ich liege in den letzten Tagen morgens im Bett und denke an dich. Ich erzähle allen Freunden und Freundinnen von dir, davon, was für ein besonderer Mensch du warst.
Dir muss ich sowieso nicht erzählen, dass diese Dankbarkeit, dass du da warst, und diese Traurigkeit, dass du nicht mehr da bist, alles andere als virtuell sind. Sondern sehr, sehr echt.
Wie du.
Danke.
testsiegerin - 29. Okt, 22:26
Alles wird ein bisschen schwerer, wenn der Sommer seinen Strohhut nimmt und geht. Wenn sein vermeintlich bunter Cousin, der Herbst kommt. Dessen Aufgabe es ist, den Aufprall des Winters zu dämpfen wie die Dämmerung den Aufprall des Tages auf die Nacht dämpft. Noch lächelt er freundlich und hat ein paar Sonnenstrahlen im Rucksack. Sie sind altersschwache Energiesparlampen, sie wärmen nicht mehr und gehen abends früh aus.
Alles wird ein bisschen schwerer, wenn der Herbst kommt. Die letzten Früchte – vom Sommer mit dem Auftrag ausgestattet, voll zu sein - fallen schwermütig vom Baum. Das Laub liegt fett und schwer auf der Erde und den Blüten und versucht sie zu ersticken, der Nebel legt sich auf Land und Leute, verschluckt das Schloss und droht damit, es nie wieder auszuspucken.
Die Sommerdecke, die längst das gewebte Leinentuch abgelöst hat, welches während der großen Hitze die dampfenden Leiber bedeckt hat, wird klein gemacht, verschwindet im Schrank und macht der Daunendecke Platz.
Schwer werden die Jacken und Schuhe, dicker die Strumpfhosen, die luftigen Kleider und Riemchensandalen müssen auf den nächsten Sommer warten. Noch wissen sie nicht, dass sie dann nicht mehr gefragt sein und an arme Menschen in Afrika verschenkt werden.
Alles wird schwer, vor allem die Brust, wenn sich die Depression wie ein fetter Kater drauflegt und sich nicht mal mit Sheba weglocken lässt.
Hättest du mich festgehalten, flüstert der Sommer mir ins Ohr und ich schwöre: „Ich hab’s versucht. Aber ich habe versagt.“
Der Herbst ist ein Gaukler, ähnlich dem Typen in Barcelona, der mir die Illusion von tanzenden Figuren verkauft hat. Der Herbst schmiert mir die Schönheit der Natur ums Maul und gaukelt mir Liebe vor, aber in den Nächten flirtet er schon mit dem Winter. Lässt die Rosmarinzweige erfrieren und legt wie zur Warnung eine dünne Schicht Eis auf die Autoscheiben. Abends am Kamin schenkt er mir reinen, schweren Wein ein und erzählt vom Abschied. Sein Lieblingsthema, ich kann es nicht mehr hören. Vom Loslassenkönnen redet er, vom Älterwerden, vom Verfall und vom Verlust. Ich halte mir die Ohren zu, weil ich dieses Gefasel nicht mehr hören kann. Er bittet den Wind, seinen treuen Gefährten, herein, und der weht feuchtes Laub in die Stube und mir seine Botschaft ins Gehirn. Sie besteht nur aus einem Wort, die Botschaft. Loslassen.
Der schwere Wein berauscht mich und beinahe hätte ich mich von ihm um den Finger wickeln lassen. Beinahe hätte ich ihm vertraut. „Du hast recht“, lalle ich trunken und zitiere aus dem Poesiealbum für Anfänger, „nur wer zulässt, dass etwas geht, kann freudig das Neue empfangen. Nach dem Winter kommt der Frühling und nach dem Frühling wieder ein Sommer.“
Alles wird gut, denke ich.
Der Herbst bläst in den Ofen und das Feuer lodert auf. „Schon“, grinst er, „aber nicht für jeden.“
Wintertime,
And the livin' is uneasy
Fogs are falling
And the blossoms die
Your daddy's poor
And your mamma's bad lookin'
So hush little baby
and cry
testsiegerin - 27. Okt, 12:05
Die junge Frau hielt sich am Lenkrad fest und heulte. Ein tiefes Schluchzen, die Flüssigkeit quoll nicht nur aus ihren Augen, sondern auch aus der Nase und aus den Mundwinkeln. Sie schniefte und zog auf.
Ich halte die Tränen nicht mehr aus. Die Tränen der jungen Frauen, die bei der Prüfung durchsausen. Die ich bei der Prüfung durchsausen lasse. Durchsausen lassen muss, weil sie die Kriterien nicht erfüllen. Ich kann sie doch nicht nur aus Mitleid in den Straßenverkehr schicken und auf andere Verkehrsteilnehmer loslassen. Manchmal würde ich diese Heulsusen gerne an den Schultern fassen und schütteln. „Das ist nur eine Führerscheinprüfung, Süße“, würde ich sie gern anschreien, „das ist nicht das Leben!“ Zumindest nicht deines, denke ich. Es ist mein Leben. Und ich verdamme dieses Leben manchmal.
Es ist unglaublich, wie unsagbar unselbstständig und dumm manche der Schüler und Schülerinnen sind. „Was machen Sie, wenn die Ölkontrollleuchte aufleuchtet?“, habe ich sie gefragt. Eine Standardfrage. „Ich ruf meinen Papa an“, hat sie gesagt. „Und wenn du den nicht erreichst?“ „Den erreich ich immer. Der hat WhatsApp.“
Ich reichte ihr ein Taschentuch. „Nicht weinen, junge Frau“, sagte ich hilflos, „in zwei Wochen können Sie wieder antreten. Arbeiten Sie bis dahin an Ihrem Blickverhalten und fahren Sie vorausschauend. Das waren keine kleinen Fehler, über die man hinwegsehen kann, da geht's ums Eingemachte.“
Ich schaute auf die Uhr. In einer halben Stunde hatte ich einen Termin beim Arzt. Die Ergebnisse der Vorsorgeuntersuchung nachbesprechen. „Diesmal werde ich Sie auf Herz und Nieren prüfen“, hatte er gesagt und sich wahrscheinlich auch noch lustig gefunden.
Meistens prüfe ich junge Mädels und Burschen. Im Gegensatz zu den Mädels machen die Burschen auf cool und tun, als ob sie das alles nichts anginge. Besser Autofahren können Sie trotzdem nicht.
Gestern hatte ich eine Fahrschülerin der anderen Art. „Was ist das eigentlich für ein Gefühl, immer nur das Negative zu sehen?“ hat sie mich gefragt, als ich das Ergebnis mit ihr nachbesprochen habe. Sie war keine der schlanken, blassen jungen Mädels, ganz im Gegenteil. 71, zu dick, in wallenden Kleidern, eine violette Strähne im Haar. Natürlich ist sie mit Pauken und Trompeten durchgefallen.
„Wie jetzt – Gefühl?“, hab ich geantwortet. Dabei ist es nicht so, dass ich keine Gefühle habe. Es bereitet mir auch keine Freude – im Gegensatz zu einigen meiner männlichen Kollegen – die Prüflinge zur Schnecke zu machen. Ich fühle mich ihnen nicht überlegen und Wertschätzung ist mir sehr wichtig. Wertschätzung, Fairness und korrekte Umgangsformen. Weil ich mich von den Tränen nicht erpressen lassen möchte, verbiete ich das Weinen schon im Vorfeld. „Manche Übertretungen bedeuten den sofortigen Abbruch der Prüfung“, erkläre ich und lächle dabei, „zum Beispiel das Überfahren einer roten Ampel, die Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit um mehr als 20 km/h - und Tränen.“ Es ist mir unangenehm, dass manche sich trotzdem nicht an meine Vorgaben halten.
Die 71jährige hat nicht geweint, sondern schallend gelacht. „Ich wollte Sie einfach kennenlernen“, hat sie gesagt, „wissen Sie, ich wollte die Frau kennenlernen, die meine beiden Enkelkinder und die Tochter der Nachbarin bei der Prüfung durchfallen lassen hat. Ich wollte wissen, was für ein Mensch hinter so einer Prüferin steckt.“
„Aha.“ Ich habe die Papiere ausgefüllt und ihr gereicht. Für Smalltalk werde ich nicht bezahlt. „Sie können in zwei Wochen noch einmal antreten“, habe ich gesagt, „fahren Sie weniger weit links, halten Sie vor und nicht hinter der Haltelinie und führen Sie auf dem Übungsparkplatz den Drei-S-Blick konsequenter aus. Außerdem fahren Sie bitte nicht so schnell auf ungeregelte Kreuzungen zu. Da geht's ums Eingemachte, verstehen Sie? Üben Sie vor allem das Fahren im Siedlungsgebiet. Lernen Sie Ihr Auto kennen und schauen Sie sich noch einmal an, wie man die Standbremsprobe korrekt durchführt.“
Üblicherweise nicken die Schüler und Schülerinnen zu meinen Vor- und Ratschlägen oder murmeln „ich verspreche es“, obwohl ich ihre Versprechungen weder brauche noch will. Ich bin nicht ihre Erziehungsberechtigte, zum Glück, denn bei vielen der jungen Menschen habe ich das Gefühl, dass sie noch nie von jemandem erzogen worden sind. Manchmal amüsiere ich mich darüber, wie die Mädels ihre kurzen Kleider nach unten ziehen und den Lippenstift ins Taschentuch pressen, wenn sie begreifen, dass ihr Prüfer eine Frau ist.
Die Alte mit den kurzen grauen Haaren hat nicht genickt und sich nicht für meine Unterstützung bedankt. Sie hat einfach weitergelacht. „Sicher nicht“, hat sie gesagt. „Wissen Sie, ich fahre seit 54 Jahren Auto. Hat mein Großvater mir beigebracht. Seit 54 Jahren fahre ich ohne Führerschein und das werde ich auch die nächsten Jahre meines Lebens so halten. Aber in Zukunft werde ich bei jeder Kreuzung halten und die Lichtanlage kontrollieren. Und wenn ich nachts losfahre, überprüfe ich vorher die Hupe.“ Dann hat sie in ihrer überdimensionalen Handtasche gekramt und mir eine Flasche Champagner überreicht. „Genießen Sie das Leben“, hat sie gesagt, „es ist zu kurz, um es sich und anderen kaputtzumachen. Schön, Sie kennengelernt zu haben.“
Ich hätte sie anzeigen müssen. Aber irgendetwas hinderte mich daran. Am Abend machte ich die Flasche Champagner auf. Nach dem dritten Gläschen begann ich zu weinen. Niemand war da, der es mir verbot. Ich wollte doch nur alles richtig machen. Immer hatte ich alles richtig machen wollen, vor allem nach dem Tod meiner Mutter.
„Sei perfekt“, dröhnte es in meinem Kopf, „du musst immer alles besser machen, es ist nie gut genug.“ Es war die Stimme meines Vaters. Ganz leise mischte sich auch die sanfte Stimme meiner Therapeutin ein. „Du darfst Fehler machen und aus ihnen lernen.“ Aber sie hatte keine Chance gegen den autoritären Ton meines Vaters. Weil ich von mir selbst Perfektion fordere, meinte meine Therapeutin, verlange ich sie auch von den anderen. Die sollten es auch nicht einfacher haben als ich.
Die Therapie habe ich nach dem Scheitern meiner letzten Ehe begonnen. Ehemann Nummer eins war alles andere als perfekt gewesen. Dabei hatten wir es schön gehabt miteinander, mit dem VW-Bus durch die Wüste. Aber ich habe ihn in die Wüste geschickt, als mein Vater gesagt hat: „Such dir einen, der eine Familie erhalten kann.“
Ehemann Nummer zwei konnte. Er arbeitete Tag und Nacht. Zumindest dachte ich das. Irgendwann kam ich drauf, dass er nachts im Büro nicht nur arbeitete. Der Klassiker. Sie war jünger, blonder und dümmer.
Ehemann Nummer drei war treu, fleißig und langweilig. Nummer vier weigerte sich Ehemann zu werden. „Mein Leben ist mir auch ohne dich Prüfung genug“, hat er zum Abschied gesagt.
Ich habe das Kapitel Männer abgeschlossen.
Das Mädchen neben mir heulte immer noch. Ich konnte sie unmöglich so aus dem Auto schmeißen. „Na na, jetzt beruhigen wir uns aber wieder.“ Sie beruhigte sich nicht, sondern ihr Schluchzen wurde lauter und hysterischer. „Haben Sie Angst?“, fragte ich.
Sie nickte. „Wissen Sie, mein Vater wird so enttäuscht sein von mir. Bei ihm zählt man nur, wenn man sich anstrengt und alles richtig macht. Sonst ist man in seinen Augen nichts wert. Und ich mach immer alles falsch!“, steigerte sie sich hinein.
Ich schluckte. „Ach was“, tröstete ich sie, „das bilden Sie sich nur ein.“ Aber ich wusste, dass meine Worte gelogen waren. Sie bildete sich das nicht ein. Ich sah mich selbst hinter dem Lenkrad sitzen und weinen, aus Scham, versagt zu haben und aus Angst vor der Enttäuschung meines Vaters. Ich hätte uns beide, also das Mädchen und das Kind in mir, gern tröstend in die Arme genommen. Ich konnte nicht. Ich konnte aber auch nicht beide Augen zudrücken und sie durchlassen, damit sie zu Hause keine Schwierigkeiten bekam.
„Ich bring Sie jetzt nach Hause“, sagte ich und brachte sie nach Hause. „Schimpfen Sie bitte nicht mit Ihrer Tochter“, bat ich den Vater, „es ist wichtig, Fehler zu machen und aus ihnen zu lernen.“
*
„Und? Haben Sie mich auf Herz und Nieren geprüft? Hab ich bestanden oder muss ich noch mal antreten?“
„Herz und Nieren sind in Ordnung. Aber im Lungenröntgen haben wir Rundherde entdeckt, sehen Sie hier, diese weißen Flecken?“ Ja. Sie waren nicht zu übersehen, die Flecken. Große, weiße Schatten lagen über Lunge und Leben. „Auch die Harn- und Blutwerte deuten auf eine Veränderung hin“, fuhr er fort. Seine Miene wirkte besorgt. „Wir müssen weitere Untersuchungen machen, um eine genaue Diagnose zu stellen.“
„Krebs?“ Ich konnte plötzlich fühlen, wie er mich von innen her auffraß, der Krebs. „Was ist es eigentlich für ein Gefühl, Patienten solche Nachrichten zu überbringen?“, wollte ich wissen.
Er wich aus. „Ich schreib Ihnen eine Überweisung für die Untersuchungen und wir sehen uns in zwei Wochen wieder. Vielleicht ist ja alles nicht so schlimm.“
Auf einmal konnte ich seine Gedanken lesen. „Hoffentlich sehen wir uns in zwei Wochen wieder“, dachte er, „es ist nämlich noch schlimmer.“
Auf dem Nachhauseweg kaufte ich mir eine Flasche Champagner und violette Haarfarbe. Vielleicht hat er ja nur einen Fehler gemacht bei der Untersuchung, dachte ich. Ich klammerte mich ans Lenkrad und weinte.
testsiegerin - 20. Okt, 18:29
Ein Dienstag wie jeder andere. Zumindest war er das zunächst. Sie hatte noch im Bett gelesen, mit der Kleinen, die mittlerweile nicht mehr klein, sondern Studentin war, gefrühstückt und gequatscht, war ins Büro gefahren und hatte sich an die Arbeit gemacht.
Die Stimmung im Büro war schlecht, wie so oft in letzter Zeit. Jeder saß in seinem Kämmerchen, arbeitete still vor sich hin und nahm die anderen nicht mehr wahr.
Immer öfter hatte sie in letzter Zeit daran gedacht, zu kündigen, aber sie war nicht mehr die Jüngste, und feige war sie auch. Vielleicht würde ein Lottogewinn sie mutiger machen. Aber das Glück war ein Vogerl und schiss ihr höchstens auf den Kopf.
Seit ihr Kollege gestorben war, war nichts mehr wie früher. Sie schüttelte den Kopf über sich selbst. Natürlich war nichts mehr wie früher. Die Zeit vergeht und wir mit ihr. Alles ist immer im Wandel, die Welt verändert sich und die Menschen und das war gut so.
"Nur die Dümmsten und die Weisesten können sich nicht ändern“ (Konfuzius), steht auf dem Kalenderblatt im Büro ihrer blonden Kollegin. Ich fürchte, ich gehöre zur ersten Gruppe, dachte sie.
Heute war sie wütend gewesen, so wütend wie selten zuvor. Und mutig war sie gewesen.
Sie spaziert durch den Regen und weiß noch nicht, ob die Mischung eine gute ist. Die Mischung aus Wut und Mut und Dienstag. Warum heißt es mutig und wütend?, fragt sie sich. Nicht mutig und wutig. Oder wütend und mütend. Egal. Nichts würde mehr so sein wie früher. Vielleicht hat das Buch, das sie heute früh gelesen hat, sie beeinflusst. In ihm hatte nämlich Heiner, der Protagonist, von einem Tag auf den anderen, ohne irgendwelche Anzeichen, die seine Entscheidung angekündigt hätten, gekündigt. Er hatte sein Erspartes abgehoben und ein Taxi zum Flughafen genommen. Er wollte in den nächstbesten Flieger steigen und in der Ferne ein neues Leben beginnen. Sein Leben. Der nächstbeste Flieger ging nach Novosibirsk und Heiner hatte sich seine Zukunft dann doch etwas anders vorgestellt. Plötzlich hatte er Angst vor seinem eigenen Mut bekommen und war mit der Bahn wieder in die Stadt gefahren. Er wollte die Kündigung zurücknehmen, aber sein Chef hat gesagt: „Tut mir leid, wir haben die Stelle schon ausgeschrieben. Wir suchen ohnehin einen Jüngeren, Billigeren.“ So hat Heiner weiterhin jeden Tag um dieselbe Uhrzeit dieselbe Frau geküsst, dieselbe Aktentasche genommen und dasselbe Reihenhaus verlassen. Seine Tage verbrachte er im Sommer im Park und im Winter in Einkaufszentren und Cafés. Am Abend küsste er seine Frau, murmelte „was für ein anstrengender Tag“, schenkte sich ein Bier ein und legte die Beine hoch. So lange spielte er seiner Familie und sich selbst Normalität vor, bis der Gerichtsvollzieher vor der Tür stand, weil weder die Stromkosten noch die Miete bezahlt worden waren.
An dieser Stelle war es Zeit gewesen mit dem Lesen aufzuhören.
Sie steht am Bahnsteig. Und jetzt?, fragt sie sich. Nach Hause fahren ging nicht, denn sie würde sich erklären müssen. Sie könnte „ich fühle mich krank“ sagen und ins Bett legen, aber Lösung ist das auch keine. Sie hat keine Lust, wie Heiner zu enden.
Sie würde es einfach allen erzählen, ihrer Familie und ihren Freunden. „Ich habe gekündigt. Punkt.“ Die Menschen haben Mitleid, wenn man gekündigt wird, aber wenn man mit 47 kündigt, ohne Ersparnisse und ohne einen neuen Job in Aussicht, hat keiner Mitleid. Sie würden sich an die eigene Stirn greifen oder an ihre und fragen: „Hast du Fieber?“
Sie schämt sich. Und fühlt sich lächerlich. Wegen so einer Kleinigkeit wirft man doch nicht alles weg, was einem in den letzten 20 Jahren wichtig war? Im Prinzip mag sie ihren Beruf ja gerne. Gut, sie hat sich nicht mehr gebraucht gefühlt, nicht mehr wichtig genug, seit die blonde Kollegin da war, die alles, was bisher gegolten hatte, hinterfragt hat und alles ändern wollte. Für die einmal vereinbarte Regeln nichts galten, weil sie nicht dabei war, als sie vereinbart worden sind. Aber deshalb alles hinwerfen? Und was jetzt?
Sie steht am Bahnsteig. Ihre wichtigsten Grundbedürfnisse, eigentlich die wichtigsten Bedürfnisse aller Menschen wurden in der Firma nicht mehr erfüllt. Gemocht und respektiert zu werden, nützlich zu sein, gebraucht zu werden und verstehen und verstanden werden. So einfach, im Prinzip. Und so schwierig zugleich.
Sie starrt auf die Gleise. Das ist eine Möglichkeit. Sie würde nichts erklären müssen, nicht ihren Kindern, nicht ihrer Mutter, nicht den Freundinnen. Einfach weg, wenn auch nicht nach Novosibirsk. „Sie war doch immer so fröhlich“, würden ihre Mutter und ihre Kinder sagen; „wir hatten immer noch ein sehr gutes, freundschaftliches Verhältnis“ ihr Exmann. „Nein, sie hatte weder Krebs noch eine andere schwere Krankheit“ ihr Hausarzt, „bei der letzten Gesundenuntersuchung waren alle Werte in Ordnung“. Ihr Chef würde sagen: „Ich kann mir das nicht erklären. Weder die überraschende Kündigung noch ihren Selbst...äh... Freitod. Sie war eine sehr engagierte langjährige Mitarbeiterin. Alle hier mochten sie.“
Ihre Freundinnen würden fassungslos sein und sagen: „Warum hat sie nicht mit uns drüber geredet? Sie war die Lebenslustigste von uns allen.“ Irgendein Psychiater, den man für das Bezirksblatt befragen würde, würde eine professionell-ernste Miene aufsetzen und sagen: „Depression ist ein Tabuthema. Oft wird sie lange nicht wahrgenommen und ein klitzekleiner Auslöser reicht aus, um das Fass zum Überlaufen zu bringen.“ Ha ha. Klitzekleiner Auslöser, der hat leicht reden. „Sie betrifft häufig die nach außen hin fröhlichen, selbstbewussten Menschen, ganz oft Kabarettisten und Clowns. Sie glauben, immer witzig und schlagfertig sein zu müssen, auch wenn es in ihrem Inneren ganz anders ausschaut.“ So ein Idiot.
Nur die blonde Kollegin würde sich schuldig fühlen. Sie würde schlaflose Nächte haben und alle Worte, die sie je mit ihr gewechselt hat, dreimal im Kopf herumdrehen und sich fragen, was sie hätte anders machen können. Sie würde leiden und schreckliche Gewissensbisse haben. Das ist wohl das mindeste, was ich erwarten kann, denkt sie und lässt die Bahn abfahren. Vielleicht würde die blonde Kollegin schon morgen ihre Sachen in eine Kiste packen und in ihr Büro übersiedeln. Vielleicht würde sie „Alles Leben ist Veränderung“ murmeln und zufrieden das Foto ihres Gatten auf ihren neuen Arbeitsplatz stellen. Vielleicht würde der einzige, der tatsächlich Schuldgefühle haben würde der sein, der am wenigsten dafür kann. Der Lokführer.
„Bitte von der Bahnsteigkante zurücktreten“, tönt es durch den Lautsprecher, „Zug fährt durch“. Scheiße, denkt sie. Scheiße, dass ich so verdammt gerne lebe. Sterben ist einfach keine adäquate Alternative.
Heute früh hat sie selbstgebackenen Zwetschkenfleck ins Büro mitgebracht, für die Kollegen. Aus feinem Germteig und mit knusprigem Streusel drauf. Sie wollte den Kollegen eine Freude machen, und sich selbst auch, denn Kochen und Backen bereitet ihr Trost und Wärme. Zu Mittag ist der Kuchen immer noch unberührt von den Menschen und berührt von den Obstfliegen am Tisch gestanden. „Ich nehm grad ab“, hat eine Kollegin gesagt, ausgerechnet diejenige mit Kleidergröße 36. „Ich esse nur bio-ökologisch und vollwertig“, die andere und sich eine Zigarette angesteckt. Dabei waren die Zwetschken und Nüsse aus ihrem Garten selbstverständlich biologisch, weil sie viel zu faul war, um Gift zu spritzen. Außerdem liebte sie die Bienen und Schmetterlinge und die Zwetschken viel zu sehr, um sie zu vergiften. „Ich bin nicht so ein Süßer“, hat der süße Kollege gesagt und die blonde Kollegin hat mitleidig gelächelt und gemeint: „Ich hab keine Zeit zum Kuchenessen. Zu viel Arbeit.“
Am Abend würde die Putzfrau kommen und den schönen Zwetschkenkuchen in den Müll werfen.
Ich hab gekündigt, denkt sie, nach zwanzig Jahren hab ich gekündigt, ich hab keine Ahnung, wie mein Leben weitergehen wird und ich steh hier und mach mir Gedanken um Zwetschkenkuchen.
Sie ist ins Büro ihres Chefs gegangen, ohne anzuklopfen. Weil sie vorher geahnt hatte, dass ihr in dieser Situation die Stimme wegbleiben würde, hatte sie die Worte auf ein kleines Stück abgerissenes Papier gekritzelt. Ein Zettel wie einer, den ein nervöser Bankräuber dem Schalterbeamten vor die Nase knallen würde, aus Angst, seine Stimme könnte versagen oder der Beamte könnte ihn am Akzent erkennen, weil die Bank seine Hausbank war. Weil er viel zu feige war, eine fremde Bank zu überfallen, wo er die Beamten nicht kannte und in der Aufregung den Fluchtweg nicht finden würde.
Auf dem Zettel, den sie vorhin ihrem Chef auf den Tisch gelegt hat, stand nicht „Das ist ein Banküberfall, handeln sie erfahrungsgemäß“, sondern nur zwei Worte: „Ich kündige.“
„Warum?“ kreischt die junge Frau neben ihr am Bahnsteig und sie merkt nicht, dass die Frage nicht ihr gilt, sondern irgendeinem Kerl, der weit entfernt von ihr auch ein Handy ans Ohr gepresst hält und ihr vielleicht gerade gesagt hat, dass er sie nicht mehr liebt.
„Sie haben meinen Zwetschkenkuchen nicht gegessen“, sagt sie laut und die Umstehenden lächeln peinlich berührt. Wahrscheinlich denken sie, dass ich verrückt geworden bin, denkt sie. Wahrscheinlich haben sie Recht.
„Also dann“, sagt sie, macht auf der Stelle kehrt und geht durch den Regen zurück in die Firma. Völlig durchnässt kommt sie dort an, denn sie hat ihren Schirm auf der Bank auf dem Bahnsteig liegenlassen.
Die blonde Kollegin ist gerade dabei, den Kalender mit den Sprüchen über ihren neuen Schreibtisch zu hängen. Sie hält kurz inne. „Oh, hallo!“, sagt sie, „deine Sachen stehen da drüben.“
Der Chef sitzt in der Küche und trinkt Kaffee. Er schaut auf und lächelt sie an. „Oh, hallo!“, sagt auch er. „Sind Sie gekommen um die Kündigung zurückzunehmen?“
„Nein. Nur den Zwetschkenkuchen.“
Er errötet. „Oh, das tut mir jetzt leid. Ich habe ihn gegessen. Er hat ganz wunderbar geschmeckt.“
testsiegerin - 13. Okt, 13:04
Ich weiß es nicht.
"Brauche ich das noch? Ich weiß es nicht."
Das sind die beiden Floskeln, die ich in meinem Forscherinnentagebuch am häufigsten verwende. Also: Brauche ich das noch? Diese ganzen Gefühle, Ängste, Widerstände, menschlichen Schwächen, die mich belasten. Ach, wenn ich das wüsste. Ob ich das alles noch brauche, weil es einfach zu mir gehört, oder ob es nur Ballast ist, der mir das Leben schwer macht. Wenn ich ihn abwerfe, steigt der Ballon, in dem ich sitze, in luftige Höhen. Je höher ich steige, umso mehr Überblick gewinne ich. Umso mehr Distanz bekomme ich. Fühle mich souverän, da oben. Ich bin näher dem Licht und nehme die Welt unter mir wie durch ein umgedrehtes Fernglas dar. Die Probleme da unten scheinen winzig klein. Die Menschen sind winzige Figürchen, die mehr oder weniger sinnvollen Beschäftigungen nachgehen, in Fabriken Dinge zusammenschrauben, über die sich dann andere winzige Figürchen ärgern, weil sie nicht funktionieren oder weil sie draufgekommen sind, dass sie diese Dinge gar nicht brauchen. Und da sind noch andere winzige Figürchen, die den ganzen Müll dann wieder zerlegen und entsorgen. Figürchen sehe ich, die scheinbar ohne Ziel in winzigen Kisten durch die Gegend fahren, manchmal stoßen sie zusammen und dann sind die winzigen Kisten kaputt, manchmal auch die winzigen Menschen. Manche gehen in große Häuser mit spitzen Türmen oder runden Kuppeln und verehren einen Toten.
Alle bewegen sich. Die meisten von sich fort, manche vielleicht auch zu sich hin, wer weiß das schon. Und wer weiß schon, was besser ist, die Suchenden oder die Zusichselbstfinder. Kleine Spielzeughäuschen sehe ich und unendlich viele kleine runde blaue Swimmingpools. Wichtig ist, dass diese kleinen Swimmingpools größer sind als die der Nachbarn. In den Swimmingpools ertrinken manchmal klitzekleine Katzen, manchmal auch Kinder.
Vielleicht ist es genau das: Der Überblick würde mir nicht nur Distanz verschaffen, sondern mich vor allem zynisch machen. Ich würde all die unnützen Dinge, all die Verschwendung, all den vermeintlichen Luxus und die Sinnlosigkeit des menschlichen Seins sehen. Ich würde das nicht aushalten und entsetzt aus meinem Korb springen. Mich selbst abwerfen, als größter Ballast meines Lebens. Der Ballon würde zur Sonne schweben und Korb und Schirm würden verbrennen. Ich würde unsanft aufprallen auf der Erde, mir den Staub vom Körper streifen und lächeln.
Es ist nämlich so: Ich brauche die Nähe, nicht die Distanz. Ich will dazugehören, zu den kleinen Figürchen, die arbeiten, produzieren, leisten, um sich etwas leisten zu können. Ich will teilhaben am vermeintlich sinnlosen Tun und Nichtstun, will ziellosen Dingen nachgehen, um mir sinnlosen Dinge leisten zu können. Ich will verstehen und verstanden werden, gesehen und gehört und wahrgenommen sein von all den anderen Figürchen um mich. Ich will nicht befreit und unbelastet in den Wolken verschwinden, sondern auf dem Boden verschwenden. Verschwenderisch umgehen mit meinen Gefühlen, auch mit meiner Verletzlichkeit, meiner Wut, meiner Eifersucht, meinem Stolz, meinem Neid, meinem Hass...
Brauche ich das noch?
Ich weiß es nicht.
testsiegerin - 11. Okt, 19:27
„Una figura danzanda por la donna in les pantalones!“
Er hat mich reingelegt, der Typ in Barcelona mit seinen tanzenden Figuren. Kleine Figuren aus Pappkarton hat er verkauft, die zur Musik tanzen. Als er die Musik abgedreht hat, waren sie still. Sie haben mich verzaubert, die Figuren, und ich hab welche für mein Kind gekauft. Spongebob, auf den steht sie, zwar nicht so wie auf den Dänen, aber Dänen gibt’s nicht im Angebot. Und Patrick, weil Spongebob ohne Patrick nicht leben kann.
Ich hab an die Illusion geglaubt. An die tanzenden Figuren. Eine Illusion – fünf Euro. Geht an die Dame in der gestreiften Hose. Bittesehr. Gracias. De nada. Ich hab tatsächlich geglaubt, dass Spongebob tanzen kann. Wieder so ein Schwammkopf auf meine Gauklerei hereingefallen, mag der Illusionenverkäufer meine Naivität belächelt haben.
Als ich die Figuren zu Hause ausgepackt und die Musik eingeschaltet hab, war ich voller Vorfreude auf die Freude meiner Tochter und den tanzenden Schwammkopf. Dann hab ich die Bedienungsanleitung gelesen. Fädelt sie eine nichtsichtbare Schnur an das Hinterteil der Figur und bewegt mit die Hände
Meine Tochter und ich haben mich ausgelacht. Einmal herzhaft lachen 5 Euro. Was kostet die Welt?
Vielleicht muss man den Schwammkopf nur lange genug an den Fäden ziehen, damit er das Tanzen lernt, sage ich. Vielleicht muss man einfach fest genug daran glauben, damit man ihn tanzen sieht.
Vielleicht verhält sich ein tanzender Spongebob wie die Liebe. Wenn man nicht daran glaubt, an die Illusion, kann man sie auch nicht sehen und fühlen. Irgendwer da oben zieht die Fäden. Wenn er sich verheddert, dann stolpern wir und fallen auf die Nase. Wenn er uns leicht und frohgemut bewegt, schweben wir. Wenn er ein böses Spiel mit uns spielt, der gaukelnde Marionettenspieler, verlieben wir uns in die Falschen. Oder wir verlieben uns in die Richtigen, aber die Richtigen verlieben sich nicht zurück.
Und wenn wir uns nicht einlassen auf das Lieben, weil wir nicht an tanzende Schwammköpfe glauben, wenn wir immer nur die Fäden hinter den Dingen, nicht aber die Musik in der Luft suchen, weil wir immer nur Angst haben, verschaukelt und betrogen zu werden, wir werden niemals glücklich sein.
Wenn wir Spongebob nicht wenigstens die Chance geben, tanzen zu lernen, wird er immer Mitarbeiter des Monats in seinem Burgerladen bleiben und nie Fred Astaire werden.
Wenn wir nicht an die Liebe glauben, an die größte Illusion von allen, werden wir nicht mal Mitarbeiter des Monats, sondern einfach nur unglücklich.
Ich drehe die Musik lauter. Stelle die Figuren vor mich. Ich schwöre, sie haben getanzt.
Una ilusion por la donna con il patetismo.
testsiegerin - 9. Okt, 00:18
Der Kunstkalender 2014 meiner Freundin
Monika und mir. Gut fühlt es sich an, unser neues Baby. Vielleicht gefällt es euch ja auch?
Zu erwerben für € 9,90 (zuzüglich Versandkosten) bei mir.
testsiegerin - 30. Sep, 10:16
„Da ist sie.“
Erika sitzt im Zimmer auf dem Boden und wippt auf und ab. Im Zimmer stehen ein Bett und ein Schrank. In der Ecke ein alter Blechtopf, gefüllt mit Urin und Kot. Er ist mit Holzteilen so befestigt, dass er nicht umgeschüttet werden kann. „Ein Patent“. Immerhin kein Keller.
Es stinkt, Kot ist nicht nur im Topf. An der Innenseite der Türe ein Knopf, der von Erika nicht geöffnet werden kann. „Es ist nur zu ihrem Schutz“, sagt die Mutter. Mit der Familie am Mittagstisch isst Erika nie. Sie würde alles hinunterschmeißen. Sie wird in ihrem Zimmer gefüttert. Zähne hat sie nur noch wenige.
Erika ist 38 Jahre alt. In die Schule ist sie nie gegangen. „Nicht bildungsfähig“, lautete der Stempel. Kleidung hat sie kaum. „Sie braucht ja nix.“ Das Geld wird gespart, damit für sie gesorgt wird, wenn die Eltern einmal nicht mehr sind. Im Winter ist sie nie draußen, sie bekommt aber Vitamine.
„Es geht ihr gut“, sagt die Mutter. „Bisher hat sich auch niemand um uns gekümmert.“
Anno 2013, mitten in Österreich.
Ich steige ins Auto, wasche meine Hände in Desinfektionsmittel und weine. Ich schäme mich, Teil dieser Gesellschaft zu sein. Die so geübt im Wegschauen ist.
testsiegerin - 26. Sep, 12:09