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Donnerstag, 12. Juli 2007

Sergej in Siena oder Die Macht der Mandeln

Sergej öffnete die Fahrertür seines rostigen Skodas, in dem er vierzig Stunden fast ohne Pause gefahren war. So ähnlich musste sich Juri Gagarin damals gefühlt haben, nachdem sie ihn aus seiner Kapsel gezurrt hatten. Das also war Siena.
Seit fünfunddreißig Jahren träumte Sergej davon, einmal nach Siena zu fahren, aber immer war etwas dazwischengekommen. Erst unüberwindbare Grenzen und große Geldnot. Die Grenzen fielen, die Geldnot blieb. Dann kam seine Frau dazwischen und die Kinder, und sie ließen die Erinnerung verblassen. Die Erinnerung an eine Sammlung kolorierter Postkarten in der Schreibtischschublade seines Großvaters. Unter einem grünblauen Himmel quoll pures Gold aus der Fassade der Kathedrale. Die Piazza del Campo leuchtete in orange und violett wie ein Spielcasino in Las Vegas. Und die ganze Stadt roch nach Großvaters billigen Zigarren aus Georgien.

Sergej atmete die kühle Luft des Morgens ein. Hier roch es nicht nach Zigarren, sondern nach Olivenöl. Er schlenderte über den Markt, inhalierte den Duft von Zitrus- und Meeresfrüchten, bewunderte die Artischocken und fragte sich, warum man hier am Gemüsestand Blumen verkaufte.
Bei einer besonders italienisch aussehenden Italienerin kaufte er ein paar Kekse. „Kann-tu-tschi-ni“, erklärte sie. Ihre weißen Zähne blitzten und ihre Brüste wippten auf und ab, während sie lachte. Wahrscheinlich lachte sie ihn aus, weil er mit Geld aus dem Jahre 1957 bezahlen wollte. Das hatte er auch in Großvaters Lade gefunden. Er streifte den Schein sorgfältig glatt und steckte ihn in die Hemdtasche. Damit wollte er noch mehr Zähne zum Strahlen und Brüste zum Wippen bringen.

Sergej schnupperte an den Keksen. Sie rochen nach Mandeln und aufdringlich süß. Er steckte eines in den Mund. Hart und trocken. Ernüchtert kaute er weiter und schluckte. „Schade ums Geld“, schimpfte er auf Russisch. Aber Sergej hatte Hunger, und deshalb quälte er sich zwei weitere Kekse durch den Gaumen. Den vierten und fünften aß er ganz in Gedanken, ohne auf den Geschmack zu achten. Er beobachtete eine weitere Italienerin, die Wein verkaufte. Ihre Zähne strahlten nicht so wie bei der anderen, aber dafür wurde noch mehr gewippt.

Sie hielt ihm eine kleine Flasche Wein hin. Vino santo, stand drauf. Hier war wohl alles heilig. Den alten Schein ließ er unberührt, weil es auch so schon genug wippte. Er schraubte die Flasche auf und nahm einen Schluck.
„Mamma mia! No! No!“, schrie die Weinverkäuferin auf und gestikulierte wild.
Er sprach nur ein paar Brocken italienisch und sie gar keinen Brocken russisch, aber keine dreißig Minuten später hatte er ein Rendezvous und saß gemeinsam mit Amanda vor einer kleinen Bar. Nach ihren weichen italienischen Anweisungen tunkte er harte italienische Kekse in süßen italienischen Wein. Nicht zu lange und nicht zu kurz.
Zuvor hatten sie ein Wörterbuch gekauft. Italienisch-Russisch. Russisch-Italienisch. Lächelnd tauschten sie das kleine Buch und Höflichkeitsfloskeln hin und her. Nach etlichen Tauschereien und noch mehr getunkten Cantuccini gelang es Sergej, den Text auf Amandas T-Shirt zu übersetzen:
Ich habe auch Augen.
Das hatte er schon längst gemerkt. Warm und braun waren die. So wie der Espresso, den sie jetzt tranken. Aber sehr viel tiefer als die kleine Tasse. Und ganz in der Tiefe las er darin: Ich habe auch Brüste.
„Vieni con me “, sagten ihre Lippen, nachdem sie sich den Kaffeeschaum abgeleckt hatte.

Sie zeigte ihm die Sehenswürdigkeiten der Stadt: Die goldglänzende Front des Domes Santa Maria. Den Palazzo Communale mit dem Schwindel erregenden Torre del Mangia.
Dass Siena nicht nach alten Zigarren roch, wusste er ja nun bereits, aber er war beeindruckt von den kräftigen Braun- und Rottönen, die mit dem bonbonfarbenen Kitsch der Ansichtskarten nichts gemein hatten. Billig wirkte hier nichts, weder der Himmel noch die Erde, und schon gar nicht Amanda mit ihren sienaroten Haaren.

Er folgte ihr, als sie sich durch die engen Gassen der Altstadt schlängelte und stellte fest, dass nicht nur ihre Augen und ihre Brüste sehenswert waren. Sie ist viel zu jung für mich, ging es durch seinen Kopf, aber zu gerne hätte er sie angefasst, die Sehenswürdigkeiten der Amanda.

Sie passierten das Haus der Heiligen Katharina. Während Sergej sich noch daran erinnerte, dass dies die Schutzpatronin Italiens war, fasste Amanda ihn an der Hand und zog ihn in einen schummrigen Hauseingang. Sergejs Herz klopfte.
Sie drückte eine finstere Holztür auf und schob ihn hindurch.
Im Innenhof war es so hell, dass Sergej blinzeln musste. Durch einen Urwald von Topfblumen folgte er ihr die Treppe hinauf und wieder durch eine Tür. Jetzt betraten sie einen bestimmt vier Meter hohen Raum, den große Rundbogenfenster mit buntem Glas säumten. Vor einem der Fenster saß ein Mann im Rollstuhl.
Amanda nahm eine Flasche und drei Gläser aus einem antiken Wandschrank, küsste den alten Mann auf die Wange und setzte sich zu ihm. „Mio nonno “, erklärte sie und Sergej blätterte im Wörterbuch. Das war also ihr Großvater.
Sie schenkte ein. Sergej holte eines der restlichen Cantuccini aus der Jackentasche, um es einzutunken, aber Amanda winkte ab. „Porca miseria, no! Grappa. Salute.“
„Sergej parla il russo“, sagte sie und das erste Mal seit ihrem Besuch zeigte der Alte eine Regung.
Auf seinen Wink trat sie näher an den Rollstuhl heran. Sergej konnte hören, wie der Großvater tuschelte, aber verstehen konnte er absolut nichts. „Si“, sagte Amanda immer wieder, und ab und zu blickte sie dabei zu Sergej herüber und lächelte.
Mit einem krächzenden „Okay“ beendete der Alte das Gespräch und klang dabei wie Marlon Brando als Pate. Dann rollte er langsam zum Wandschrank, zog eine Schublade auf und nahm etwas heraus. Einen Moment rechnete Sergej damit, dass er eine Pistole auf ihn richten würde, aber dann klappte er ein kleines Buch auf.

„Sicuro?“, fragte der Pate noch einmal und Amanda nickte. „Sicuro.“ Sicher.
Mit zitternden Fingern reichte er Sergej ein paar Zettel.
„Brief von russische Frau. Augen kaputt“, grummelte er. „Bitte vorlesen.“
Sergej betrachtete erst die sauber geschriebenen kyrillischen Buchstaben und las dann. Er schmunzelte. Eine gewisse Valerija schwärmte von wunderschönen Tagen und Nächten in Siena. Dankte Paolo für seine Gastfreundschaft. Die Pasta. Den Wein. Und für das, was danach gekommen war. Der Großvater lächelte entrückt und Amanda wartete ungeduldig und hatte keine Ahnung, worum es ging und warum das Schmunzeln auf den Gesichtern der Männer immer breiter wurde. Hier ist das Rezept von Borschtsch, schrieb Valerija, einer russischen Nationalspeise mit roten Rüben. Und ob Paolo ihr dafür verraten könnte, wie man diese harten Mandelkekse zubereitete.
Acht Jahre war dieser Brief jetzt alt und offensichtlich der letzte in einer ganzen Reihe von Briefen. Danach hatte Paolo nicht mehr geantwortet. Der Augen wegen.
“Bitte, du schreibst Antwort?”
“Sicuro.” Sergej nickte und lernte Italienisch.

“Brjansk liegt praktisch auf meinem Weg”, murmelte Sergej, als er vor dem Briefkasten stand und steckte den Umschlag wieder in die Tasche.

“Valerija Mandlikova?”
“Ja, die bin ich.” Die dunklen Augen der alten Dame funkelten lebhaft.
“Sie haben Post.”

Montag, 9. Juli 2007

Wie kommt das Salz ins Meer

"Wie kommt das Salz ins Meer", wollte sie wissen, nach der ersten gemeinsamen Nacht in dem alten, grünen Boot, das nach Freiheit und Fisch stank.
"Mit meinen bloßen Händen habe ich es hineingeschaufelt, damit das Meer dich trägt." Er streckte seine Arme nach ihr aus. "Können diese Hände lügen?" Sie ergriff sie, las aus ihnen eine gemeinsame Zukunft, und kostete von den salzigen Fingern. Sie verlor den Boden unter den Füßen, ertrank in seinem brennenden Blick und wurde in seinen Lügen biegsam und weich.
Später dann streute er ihr Sand in die Augen und versalzte Suppe und Leben. Die letzten Krümel verteilte er in den offenen Wunden, die er ihr zuvor zugefügt hatte.

Wieder sitzt sie am Strand und hält eine Muschel ans Ohr. "Wenn es brennt, heilt es", hört sie die Worte ihrer Mutter und ihr Vater fügt hinzu: "So lange du es spürst, bist du lebendig. Vorbei ist es erst, wenn dir nichts mehr weh tut."



"Wie kommt das Salz ins Meer", fragt das Kind.
"Irgendwann wirst du so schwer, dass ich dich nicht mehr tragen kann", sagt sie die Wahrheit, "deshalb habe ich es mit meinen Händen hineingeschaufelt, damit wenigstens das Meer dich trägt."
"Aber es brennt", brüllt das Kind und reibt sich die Augen.
"Ich weiß", flüstert sie, wiegt es im Arm und macht am Horizont ein Fischerboot aus. "Es muss brennen, damit es heilen kann. "

Samstag, 16. Juni 2007

Die nackte Wahrheit

Wieso ist die Wahrheit eigentlich immer nackt?
Ich meine, die Gute ist ja nun auch nicht mehr die Jüngste. Ist es ihr nicht peinlich, wenn sie – egal, wohin sie geht – nackt auftritt? Schämt sie sich nicht, uns mit diesem Anblick so penetrant zu belästigen?
Also, wäre ich die Wahrheit, ich würde wenigstens in einen Schlüpfer schlüpfen. Nicht nur der bedrohten Wörter wegen, sondern wegen der Scham. Aber die Wahrheit scheißt sich nichts, reißt sich die Kleider vom runzligen Leib und benimmt sich so ... so überlegen irgendwie. Immer will sie recht haben. Und dann dieser Sauberkeitsfimmel. „Ich bin die reine Wahrheit“, pflegt sie zu sagen. Ja, sie hat nie so schmutzige Fingernägel wie ich, wahrscheinlich wühlt sie mit ihren Händen nie in der feuchten Erde und der Dreck geht sie einen Dreck an.
Vielleicht ist die Wahrheit ja auch bettelarm und kann sich keine Klamotten leisten? Nein, die Caritas würde ihr welche schenken. Ich auch.
Sie merken schon, sie nervt mich. Die reine, nackte Wahrheit. Diese Nudistenfreundin der Tatsachen und des Wahnsinns. Sie merkt nicht einmal, wie oft und wie sehr sie Menschen mit ihrer übertriebenen Ehrlichkeit verletzt. Das ist ihr auch völlig egal, darum geht’s ihr nämlich gar nicht, um Mitmenschlichkeit und funktionierende Beziehungen. Dafür bin ich nicht zuständig, winkt sie herablassend ab.
Und trotzdem, wenn man genau hinschaut, glücklich wirkt sie ganz und gar nicht. Sie wird zwar bewundert und begehrt, aber in Wahrheit haben die Menschen Angst vor ihr. Große Angst. Weil wir uns selbst ständig schuldig und nackt fühlen, wenn sie uns mit ihrem durchdringenden Blick ansieht?
Manchmal, wenn sie sich unbeobachtet fühlt, sehe ich an ihrer Gänsehaut, wie sie fröstelt. Und weil ich Mitleid habe, werfe ich ihr einen Mantel zu. Einen, der aus menschlicher Wärme und Notlügen gewebt ist. Genäht mit einem feinem Augenzwinkern. Ich hoffe, sie behält ihn an.
Ach ja, das mit der Hoffnung, das ist auch so eine Sache. Man meint zwar, sie wäre positiv und immer gut gelaunt. Irrtum, sie ist total egoistisch. Rundherum sterben die Gefühle, sie schaut gleichgültig zu, macht auf generös und lässt allen den Vortritt. In Wahrheit hat sie Angst. Angst vor dem Tod. Deshalb stirbt die Hoffnung immer zuletzt. Aber das ist eine andere Geschichte.

Mittwoch, 13. Juni 2007

Fettes Kleinod

Mein Beitrag zur Rettung der bedrohten Wörter:

(Im Raprhythmus zu rezitieren)

Hey Meister hör mal zu, die alten Wörter kratzen ab
darunter lauter solche Worte, die ich nie gesehen hab
Diese Nummer geht mir eigentlich total am Arsch vorbei
aber meine neue Alte macht deswegen so’n Geschrei
Ich soll verhindern, dass die Laberei den Bach runtergeht
hat mein Augenstern mit Sternen in den Augen gefleht
und als ob ich nicht verfickt noch mal genug der Sorgen hätte
will sie jetzt auch noch, dass ich die welke deutsche Sprache rette

Scheintot
kleiner Tod
Weinrot
kein Brot
ist so fett wie Kleinod

Sie hat gestöhnt: Oh, wie ist mir blümerant zumute
Ich sage, gut, also lass uns endlich vögeln, meine Gute
Statt zu bumsen schleppt sie mich dann in ein Lichtspielhaus
aber glaubst du diese Schnalle zieht den Schlüpfer aus?
Wie so oft in meinem Leben ist das Glück mir nicht hold
Diese ungeile Bitch, sie hat das Fummeln nicht gewollt
Ich krieg eine geknallt und sie benimmt sich voll krass
„Du Dreikäsehoch“, ätzt sie „mit dir macht das keinen Spaß“

Scheintot
kleiner Tod
Weinrot
kein Brot
ist so fett wie Kleinod

Alles Bauchpinseln hilft nichts, die hat wirklich einen Schuss
Teilt mir fernmündlich mit, mit uns beiden ist jetzt Schluss
Nun hab ich die Weiber satt, sie sind mir zu kompliziert
deshalb hab ich mich auf die bedrohten Wörter konzentriert
Hab die Sprache selbst einmal mit Schweißfüßen getreten
doch nun werd ich sie für euch vor dem Dahinscheiden retten
Für die Behüter der Relikte wurd’ ich über Nacht zum Held
das ist Labsal für meine Rapperseele und echt fetter als Geld

Scheintot
kleiner Tod
Weinrot
kein Brot
ist so fett wie Kleinod

Sonntag, 3. Juni 2007

Coming out

Gregor war nicht schwarz, nicht schwul und nicht schwindsüchtig. Er war kein Kommunist und kein Mormone. Und trotzdem gehörte er einer Minderheit an.
Seine Frau wusste nichts davon. Sie hätte es ohnehin nicht fassen können. Auch Ferdinand und Wolf waren ahnungslos. „Komm Gregor, trink noch ein Bier!“, würden sie ihn auslachen. Gewiss, sogar Wolf pinkelte im Sitzen und Ferdinand putzte manchmal das Klo, aber was jetzt in ihm vorging, das würden sie nicht verstehen. Dabei war Gregor weder ein Weichei noch ein Schlappschwanz. Er konnte rückwärts einparken, kleidete sich ebenso schlecht wie andere Männer auch und schraubte mit kindlicher Begeisterung IKEA-Regale zusammen. Montags bis freitags arbeitete er im Labor, mittwochs ging er zum Sport und samstags zum Angeln.
Und doch. Er war anders. Anders als die anderen.
Alle zwei Monate schwänzte er den Sport und fuhr heimlich zum Flughafen. Dort kannte ihn niemand, außer der freundlichen Frau am Kiosk, die ihm lächelnd das Gewünschte aushändigte. Gregor schaute nervös nach allen Seiten, bevor er die Emma zusammenrollte und in der Jackentasche verschwinden ließ.
*

Gregor entriegelte die oberste Lade seines Schreibtisches, kramte nach dem Umschlag und nahm den Brief heraus. Sehr geehrte Frau Felber, stand da. Woher hätten sie auch wissen sollen, dass G. Felber keine Frau war? Wir freuen uns, Sie beim diesjährigen feministischen Kongress begrüßen zu dürfen, der unter dem Motto Gleich! Berechtigung steht, und haben Sie für den Arbeitskreis Geschlechtliche Diskriminierung im Alltag - erfahren, empfinden, entgegnen vorgemerkt.
*

Gregor atmete noch einmal tief durch, bevor er das Tagungszentrum betrat. In der Eingangshalle standen Frauen in kleinen Gruppen zusammen.
Kaum hatte er das Foyer betreten, als ihn auch schon eine kräftige Hand an der Schulter packte. Erschrocken drehte er sich um und blickte einer drallen Rothaarigen ins Gesicht, die ihn nervös ansah.
„Gut, dass Sie da sind“, keuchte sie hastig und zog ihn am Arm. „Kommen Sie mit!“
Noch ehe Gregor ein Wort erwidern konnte, hatte sie ihn durch eine schwere Eisentür in einen dunklen Raum geschoben, in dem es nach Öl und Elektrizität roch. Ihm wurde mulmig.
„Bitte, Herr Katschmarek!“, bedrängte sie ihn. „In zehn Minuten soll es losgehen, und wir haben in der Küche weder Strom noch Heizung. Das Mineralwasser wird warm und der Kaffee bleibt kalt.“ Gregor seufzte erleichtert auf. Sie hielt ihn offensichtlich für den Hausmeister. Er krempelte die Ärmel hoch. Dann starrte er auf die vielen Drähte und Schalter vor sich und fühlte sich plötzlich sehr hilflos. Er war Chemiker, kein Elektriker.

„Vielleicht ist ja nur eine Sicherung durchgebrannt“, versuchte er es. „Wo ist denn der Schutzschalter?“
“Wer soll das wissen, wenn nicht Sie?“, begann die Rothaarige sich aufzuregen. Er legte sich gerade die Worte zurecht, mit denen er das Missverständnis aufklären wollte, als die Tür aufging und sich noch zwei Frauen hereindrängten. Sie trugen Latzhosen. Mit der Aufschrift Donna & Blitz. Die Elektrikerinnen.
„Na, dann brauchen wir Sie wohl nicht mehr”, verabschiedete die Rothaarige ihn und wandte sich den Profis zu.
*

Er ging mit erhobenem Haupt an den Frauen in der Halle vorbei, um ihren Blicken nicht begegnen zu müssen. Gregor nahm verschämt in der hintersten Reihe Platz. Sollten sie ihn doch alle für den Katschmarek halten.
Während vorne die Stadträtin ihre Begrüßung herunterbetete, ließ sich ausgerechnet die Rothaarige seufzend neben ihn auf den Klappsitz plumpsen. Gregor lächelte ihr unsicher zu, sie blickte ihn interessiert an. Was wollte die denn jetzt schon wieder von ihm?

„Sie sind gar nicht der Hausmeister, stimmt's?“
Er nickte. „Stimmt. Ich bin nicht der Hausmeister.“
„Sind Sie von der Presse?“
Gregor schüttelte den Kopf.
„Politiker?“
„Nein, nichts dergleichen. Ich bin ein ganz normaler Konferenzteilnehmer. Ich bin ...“, er holte noch mal Luft, „...ich bin Feminist.“ Jetzt war es draußen.
„Margot Hübner.“ Sie schüttelte ihm unerschrocken die Hand. „Ich koordiniere die Abläufe hier.“
„Gregor Felber. Ich hoffe, ich störe Ihre Abläufe nicht.“
*

Information ist Macht war der Titel des ersten Referats. Es ging um die digitale Kluft zwischen den Geschlechtern. Er zuckte immer zusammen, wenn es die Männer hieß. Und er spürte, wie manche Frauen ihn von der Seite betrachteten. In ihren Augen war er bestimmt einer von denen. Eines dieser Schweine, die Frauen klein halten wollten und ihnen den Zugang zur Information und damit zur Macht verwehrten. Aber was konnte er denn dafür, dass seine Frau sich einfach nicht für den Computer interessierte? Gleich morgen beim Frühstück würde er das zum Thema machen und ihr seinen neuen Laptop schenken.

In der Pause stellte er sich unsicher zu einer kleinen Gruppe von Frauen.
„Was machen Sie denn hier?“, fragte eine von ihnen, die sich gerade eine Zigarette anzündete.
„Ich bin Feminist“, antwortete Gregor.
„Feminist? Ich dachte, dieses Wort existiert nur in der weiblichen Form?“ Die zierliche Dunkelhaarige schien Germanistin zu sein.
Ich reduziere sie auf Haarfarbe und Figur, ertappte sich Gregor. Auch das musste sich ändern.
Er hielt ihr einen Zettel unter die Nase.
„Sehen Sie mal. Ich habe diesen Test gemacht.“
SIND SIE FEMINISTIN? stand in Großbuchstaben auf dem Blatt Papier. „Ich habe 28 von 30 möglichen Punkten. Ich bin also waschechter Feminist.“ Gregor konnte sich gar nicht mehr erinnern, seit wann er feministisch fühlte und dachte. Es war immer schon in ihm.
„Haben Sie keine eigenen Probleme, um die Sie sich kümmern können?“, provozierte ihn eine Frau mit Sommersprossen, die zufällig blond war.
„Doch“, entgegnete Gregor ruhig. „Ich habe genug Probleme. Unser Sohn wurde beim Klauen erwischt, der Mazda hat einen hoffnungslos durchgerosteten Unterboden und mein Cholesterinspiegel ist zu hoch. Aber wo kommen wir denn hin, wenn sich jeder nur um seine eigenen Angelegenheiten kümmert und keiner mehr für seine Ideale kämpft?“
„Wo er Recht hat, hat er Recht.“ Die vermeintliche Germanistin nickte wohlwollend und wandte sich wieder an ihn: „Ich find es ganz schön mutig, dass Sie hier teilnehmen.“
„Also, herzlich willkommen im Namen der Gleichberechtigung“, stimmte eine andere zu.
Gregor genoss die Akzeptanz durch die Frauen, ähnlich wie damals, als er in der Jugendfußballmannschaft sein erstes Tor geschossen hatte und danach richtig zur Mannschaft gehörte.

“Wer hat denn den süßen Kerl mitgebracht?”, fragte eine zarte blasse Frau in die Runde und leckte sich die Lippen.

Gregor spürte, wie er rot wurde. Eine der Frauen kicherte. Erst war er der Hausmeister und jetzt irgendein Schatzibutzi. Die nahmen ihn hier nicht ernst, nur weil er ein Mann war.
Wie gerne hätte er jetzt eine freche Antwort gegeben, aber dann wäre er gleich wieder ins Abseits gelaufen.
„Sind Sie etwa Chauvinistin?“, gab er mutig zurück.
Eine Glocke beendete die Pause. Mehr wie im Boxring als auf dem grünen Rasen, dachte Gregor.
*

Die nächste Runde hieß Workshop und Gregor traute sich nicht in den Ring. Die meisten Frauen saßen schon im Kreis, während er draußen nervös auf und ab ging. Dabei könnte er nach seinen heutigen Erfahrungen wahrlich genug zur alltäglichen Diskriminierung aufgrund des Geschlechts beitragen. Er überlegte gerade, ob er sich den Schlägen unter die Gürtellinie wirklich aussetzen oder nicht doch lieber das Handtuch werfen sollte, als Margot ihm über den Weg lief.
„Verfolgen Sie mich?“, grummelte er gereizt. „Ich komme auch ohne Ihre Unterstützung ganz gut klar.“ Das war gelogen. Sie lachte und hängte sich bei ihm ein.
„Ich leite den Arbeitskreis.“ Sie tätschelte beruhigend seine Wange. „Und wir zwei gehen da jetzt ganz tapfer hinein.“
Das hatte seine Mutter damals auch gesagt, als er mit acht Jahren zur Mandeloperation ins Krankenhaus musste. Weder seine Mutter noch Margot hatten in der jeweiligen Situation große Tapferkeit beweisen müssen. Und ebenso wie damals ließ er sich jetzt willenlos zum Helden rekrutieren.
Margot stopfte Gregor auf einen freien Platz, ausgerechnet zwischen der zartblassen Chauvinistin und der germanistischen Dunkelhaarigen.

„Liebe Feministinnen“, begann Margot. „Und liebe Feministen“, ergänzte sie. Gregor spürte ein Dutzend Augenpaare wie Rasierklingen auf der Haut.
„Wenn der Schwanzträger bleibt, geh ich“, revoltierte prompt eine Teilnehmerin und zerbrach theatralisch ihren Bleistift. Ein paar Frauen applaudierten und Gregor zuckte unter dem seelischen Schmerz zusammen.
„Männer in den Herd!“, schrie eine andere, wurde aber dafür ausgepfiffen. Margots Beschwichtigungsversuche gingen im allgemeinen Tumult unter.
Gregor fühlte sich schuldig, weil er die Frauen mit seiner bloßen Anwesenheit so aus dem Konzept gebracht hatte. Seite an Seite hatte er mit ihnen für die Emanzipation kämpfen wollen, nicht gegen sie. Aber er passte wohl nicht ins Team. Gregor ging zu Margot und schüttelte ihr die Hand.
„Tut mir Leid, jetzt habe ich Ihre Abläufe doch gestört.“ Achselzuckend verließ er den Seminarraum.
„Warten Sie!“ Margot war ihm nachgelaufen und drückte ihm eine Visitenkarte in die Hand. „Rufen Sie mich an. Bitte.“
*

Nachdenklich schlich Gregor zu seinem Wagen. Diesen Abend konnte er abhaken. Sein Coming out in der Familie und im Freundeskreis musste er bis auf weiteres verschieben. Hoffentlich erfuhr keiner etwas von seinem Versagen heute.
Mit der Rothaarigen würde er beizeiten telefonieren. Er nahm ihre Visitenkarte aus der Jackentasche. In der Tat, sie war Expertin für ungestörte Abläufe. Gregor lächelte und las:

Dr. med. Margot Hübner
Fachärztin für Urologie

Sonntag, 27. Mai 2007

Altmustersammlung

Stoffe, bedruckt mit „Das tut man nicht“
Tücher, umsäumt von Schuldgefühl
Taschen, gefüllt mit Ängsten und Scham
Jahrzehntelang mitgeschleppt
seit Generationen im Familienbesitz

Ausmustern

Ein schwarzweißes Korsett
gewebt aus Kleinkariertheit
von feinstem Garn, doch zu eng
(Vielleicht bewahre ich es für meine Tochter auf
falls das Leben ihr zu bunt
oder Kleinkariertes wieder modern wird)

Ausmustern

Kleider so dünnhäutig wie ich
Eine verstaubte Federboa
zum Auf- und Gefallen
sie stinkt nach Mottenkugeln
Ich schenke sie dem Pfau im Garten
und schlage ein Rad


Ein Paar Schutzengelflügel aus Kindertagen
Ob sie wohl noch tragen?

Dienstag, 22. Mai 2007

Die Wahr.sager

Sie kommen spät, meine Liebe
Ich öffne der Wahrheit die Tür
Schön ist sie und aufrecht und rein
Ich bin nicht die Liebe
nimmt sie neben der Lüge Platz
und ich bemerke die Ähnlichkeit der Beiden

Der Neid spuckt gerade
der Schönheit ins Gesicht
da klopft es.
Ich bin die Wahrheit
reicht die fette Fratze mir die Hand.
Ich auch
säuselt ihr hässlicher Begleiter

Aber, wende ich ein
die Wahrheit ist doch schon da
Sie stoßen mich zur Seite
und bringen die Schönheit zu Fall
Das Wahre ist nicht schön, sagt die Fette
Und das Schöne nicht wahr der Hässliche.

Hilflos schaue ich mich um
Wer rettet mich vor so viel Wahrheit?

Die Intelligenz ist eingeschlafen
in den Armen der Gelassenheit

Und das Schicksal
zuckt die Schultern
und lächelt

Montag, 21. Mai 2007

Zeit zu gehen ...

... murmelt das Gefühl
die Glut knistert nicht mehr
noch wärmt sie
Ich schlüpfe in meinen langen Mantel
lächle wehmütig in Richtung Theke

Zeit zu gehen

drängt es mich
ich trinke aus
der bitteren Neige
streichle sanft das staubige
Stofftier auf dem Sofa

Langsam
gehe ich zur Tür
schlucke die Tränen
dreh mich noch einmal um

Zeit zu gehen

... aber
irgendwer
muss doch die Plüschkatze füttern

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
Jakob und der gewisse Herr Stinki


Barbara A. Lehner (Text) Eleonore Petzel (Musik)
Von Herzen und Seelen - CD

Neu

"Pinguin"
"Pinguin"
bonanzaMARGOT - 11. Mär, 11:11
Sleepless im Weinviertel
Ich liege im Bett. Ich bin müde. Ich lese. Eine Romanbiografie...
testsiegerin - 13. Jan, 11:30
... ich könnte mal wieder...
... ich könnte mal wieder eine brasko-geschichte schreiben.
bonanzaMARGOT - 8. Jan, 07:05
OHHH!
OHHH! Hier scheint bei Twoday etwas nicht zu stimmen. Hoffentlich...
Lo - 7. Jan, 13:36
OHHH!
OHHH! Hier scheint bei Twoday etwas nicht zu stimmen. Hoffentlich...
Lo - 7. Jan, 13:36
loving it :-)
loving it :-)
viennacat - 2. Jan, 00:51
Keine weiße Weste
Weihnachtsgeschichte in 3 Akten 1. „Iss noch was,...
testsiegerin - 16. Dez, 20:31
ignorier das und scroll...
ignorier das und scroll weiter nach unten.
testsiegerin - 27. Okt, 16:22

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