Schweres Erbe

Bumm. Bumm. Bumm. Sascha schlug einen Nagel ein, um das Bild aufzuhängen, das sie für ihn gemalt hatte. Sie stand daneben und freute sich wie ein kleines Kind. Bumm. Bumm. Bumm.

Sascha war tot, fiel ihr im Halbschlaf ein. Seit knapp einem Jahr schlug sein Herz nicht mehr. Also konnte das Hämmern gar nicht von ihm sein. Sie wollte nicht aufwachen. Sie wollte ihm weiter zuschauen, wie er den Nagel einschlug, das Bild an die Wand hängte, einen Schritt zurück stieg und sein und ihr Werk bewunderte. Sie wollte ihm dabei zuschauen, wie er seine Wohnung langsam zu ihrer gemeinsamen machte.
Das Pochen wurde heftiger. Ihr Herzklopfen auch. Da war sie wieder, die Angst. Damals hatten sie auch geklopft, als es draußen noch dunkel war. Damals hatten sie ihr mit ernsten Gesichtern gesagt, dass sie jetzt ganz stark sein müsse.
Sie schälte sich aus der Geborgenheit des Sessels, seines Sessels, in dem sie einige Stunden zuvor in eine Decke gekuschelt eingeschlafen war. Im langen T-Shirt öffnete sie die Tür einen Spalt breit.
Zwei groß gewachsene Männer standen vor der Tür, in altmodischen Mänteln, mit altmodischen Aktentaschen und mit ihrem amtlichen Abzeichen auf dem Revers.
„Gerichtsvollzieher!“ dröhnte es durch das ganze Haus, obwohl sie längst direkt vor ihnen stand. Allmählich gingen auch die Türen der Nachbarn auf.

Vier Augen starrten auf ihre mageren Beine. Sie öffnete die Sicherheitskette und ließ sie die Männer ein.
Ein kalter Luftzug drang in die Wohnung ein und setzte sich darin fest. Mechanisch griff sie nach dem Kleidungsstück auf der Kommode und wickelte sich darin ein. Es war seine Lieblingsweste gewesen. Sie passte dreimal rund um ihren Körper und ging ihr bis zu den Knien. Jetzt würde sie sie beschützen.

Die heruntergeleierten Sätze, die die Männer zu ihr sagten, prallten an der dicken Wollweste und der dünnen Haut darunter ab. Nur ab und zu drangen ein paar nadelspitze Wörter durch den dicken Wollschutz.
Bezirksgericht
Exekutionstitel
Zwangsversteigerung


Vor Jahren hatte sie die alte Mühle gekauft, mit ihrem Exmann. Ein Ort der Begegnung und der Kunst hätte sie werden sollen. Aber dann kam die Rezession. Die in der Ehe zuerst. Zunächst wurden die Worte weniger und dann die Liebe. Dem Einbruch in ihrer Beziehung folgte der wirtschaftliche.
Die Mühle wurde weit unter ihrem Wert verkauft, und auch ihre Bilder verkaufte sie zu Schrottpreisen, um Miete und Strom für die Mietwohnung bezahlen zu können. Und neue Farben für neue Bilder, die niemand kaufte, zu kaufen. Später sparte sie bei den Farben und malte nur noch graue Bilder. Trotzdem reichte das Geld nicht für die Kreditraten.
Sie flehte, sie bittete und sie bettelte. Vergebens. „Sie müssen verstehen“, hatten die adretten Bankbeamten in ihren adretten Anzügen freundlich gelächelt und gesagt: „Eine Bank ist nicht die Caritas.“

Die beiden Riesen betrachteten ein wenig mitleidig die Einrichtung und machten Notizen. Es gab nicht viel in dem großen Zimmer, das zugleich Wohnung und Atelier war. Leinwände, Farben und Pinsel. Ein paar Bücher.
Sie biss sich auf die Unterlippe, als sie sah, wie sie die Play-Station notierten. Das Weihnachtsgeschenk für ihren Sohn.
Nicht weinen. Nicht ausflippen. Ruhig bleiben. Sollten sie doch ihren DVD-Player versteigern, ihren Stolz ließ sie sich nicht nehmen. Nicht ihre Würde. Nicht das, was noch übrig war davon.
Sie konnte die Gedanken in den Köpfen der Männer hören. Arbeitsscheues Künstlerpack. Nichtsnutz. Versagerin.

Sie kroch tiefer in die Weste und spürte die schöne warme Zeit mit Sascha. Die viel zu kurze Zeit mit Sascha. Er hatte nicht gegeizt, nicht mit Worten, nicht mit Geschenken, vor allem aber nicht mit Aufmerksamkeit. Trotzdem mischte sich manchmal Wut in die Trauer. Es hatte kein Testament gegeben. Alles was er besaß, und das war neben seinem großen Herzen und dem scharfen Verstand noch einiges, gehörte jetzt seiner Schwester. Auch die Eigentumswohnung, aus der sie demnächst rausmüsste.
Nur ein paar persönliche Dinge und den alten Polstersessel hatte die Schwester nicht gewollt. Seinen massigen, weichen Sessel.
Den, an den sie sich jetzt klammerte, um nicht den Halt zu verlieren.

Den, den sie jetzt aufschrieben.
irishwolfhound - 23. Nov, 19:31


la-mamma - 23. Nov, 22:05

eine richtige novembergeschichte

dass die nicht versöhnlich enden kann, war mir nach dem ersten satz im zweiten absatz klar ...

testsiegerin - 24. Nov, 22:00

ich hab ja auch lieber happy-ends, aber das leben pfuscht manchmal einfach dazwischen.
datja - 24. Nov, 11:13

liebes leben,
wann liest du endlich in ruhe barbars brief und nimmst dir den inhalt zu herzen?
?

testsiegerin - 24. Nov, 22:00

ja. wann?
Becksi (Gast) - 24. Nov, 14:41

Dem Leben scheinen solche Geschichten egal zu sein, denn es ist grausam und schrecklich gemein!
Und Schwestern, die erben anscheinend auch......

testsiegerin - 24. Nov, 22:02

ja. es kann ziemlich grausam sein das leben.
aber die frau, um die es in der geschichte geht (das mit den mageren beinen bin ja nicht ich), steht immer wieder auf.
sie hat sich den titel "drama queen" hart erarbeitet ;-)
walküre - 24. Nov, 18:04

.

syntaxia - 24. Nov, 18:33

..den Halt

..um nicht den Halt zu verlieren..
Es wird nicht der letzte Halt sein, vielleicht wird dies jetzt die Weste?!

Immer wieder bin ich traurig erstaunt, wie weit sich ein Mensch beugen kann. Auf was er verzichten muss und letzlich kann...

..grüßt Monika

testsiegerin - 24. Nov, 22:02

Ja. Beim letzten Halt heißt es: Bitte alle aussteigen!
So weit ist sie noch nicht.
becksi (Gast) - 25. Nov, 11:33

Wie heißt es immer so schön: erstens kommt es anders, zweitens als man denkt! Leben ist wie Bingo. Vielleicht findet unsere Heldin ja noch eine halbe Million versteckt im gemütlichen Sessel....

@ Testsiegerin: deine Bilder und Geschichten sind eindeutig nicht grau! Und dürre Beinchen hast du soweit ich sehen konnte wohl auch nicht.

bonanzaMARGOT - 25. Nov, 12:29

es ist immer eine gratwanderung zwischen gekonnter erzählung und dem gefühl von authentizität, die am besten fesselt. was ich sagen will: es ist schon spürbar, ob eine idee noch persönlichen bezug hat - denn ohne diesen kommt sie unterkühlt rüber - wie bei diesem text von dir.
mein statement: ganz gut handwerklich, obwohl du stellenweise nachläßt. insgesamt fehlt das eindringliche, das wirklich ergreifende, was unter die haut geht.

gruß
bon.

testsiegerin - 25. Nov, 22:32

persönlichen bezug hat diese geschichte sehr wohl, wenn ich sie auch nicht selbst erlebt habe. die protagonistin ist eine meiner liebsten freundinnen.
kannst du ein bisschen konkreter sagen, was die geschichte haben müsste, um eindringlicher zu sein?
ich mag ja immer gern, wenn da trotz aller betroffenheit eine gewisse distanz ist.
weil ohne distanz solche geschichten nicht zu ertragen sind. oder kitschig werden.

die geschichte ist schon älter, ich hab sie jetzt aus der distanz ein bisschen geändert. vielleicht hat ihr das nicht gut getan, ich weiß nicht.

wir haben ja eine gemeinsame zeit in der leselupe verbracht, bonanzamargot, und ich weiß aus dieser zeit, wie mich diese perfektionsansprüche und viele vorschläge einerseits zwar weitergebracht, oft aber auch blockiert haben, weil ich das gefühl hatte, ich darf nur noch sensationell gute geschichten schreiben. so ist das leben aber nicht, und jetzt schreib ich und schreib und schreib, und manchmal ist halt ein großer wurf dabei und ein andermal nicht, auf jeden fall find ich es wesentlich entspannender und lockerer und es macht mich glücklicher.

trotzdem bin ich froh über kritik und versuche daran zu lernen und an ihr zu wachsen.

liebe grüße
b.
kepkezkem - 25. Nov, 22:38

Also, mir gefällt sie so, wie sie ist :)
testsiegerin - 26. Nov, 18:34

danke!
ich find das eh o.k., dass nicht jede geschichte den geschmack von jedem trifft.
gerda (Gast) - 26. Nov, 07:28

mir gefällt der text genauso wie er ist. ich kann es nicht mit sicherheit sagen, aber ich glaube ich würde deine texte aus hunderten erkennen.
gerade an deiner unvergleichlichen art viel gefühl rüberzubringen, ohne ins kitschige abzudriften.

aber ich mag eh alle deine texte. die technisch perfekten, die mit den gekonnten wortspielereien, die aus dem bauch geschriebenen und besonders die, die dir mitten in der nacht nach ein paar gläsern rotwein einfach so aus der feder fließen.

gerda

testsiegerin - 26. Nov, 18:35

das fällt in die rubrik "unkritisches groupie" ;-)
vielleicht sollt ich mehr trinken, wenn du meine vom gehirn unzensurierten texte so magst.

heute aber gibts keinen rotwein. heute wird sekt getrunken, zur feier des tages.
gerda (Gast) - 26. Nov, 19:06

kann es sein, meine liebe barbara, dass du heute sekt trinkst, weil du geburtstag hast. ich meine mich zu erinnern.
ja, doch, es war irgendwann ende november.

ich wünsche dir alles, alles liebe und drück dich fest und herzlich.

gerda
testsiegerin - 26. Nov, 19:15

so ist es.
danke für die glückwünsche.
weißt du noch, wie wir gemeinsam gefeiert haben?

ich meine mich zu erinnern, dass du auch bald hast, schützin. wann?

ahja. bei deinem link fehlt das t von net.
ist mir schon früher mal aufgefallen.
becksi (Gast) - 26. Nov, 08:35

Jeder hat einen anderen Blickwinkel und man kann an allem herumkriteln und verbessern wollen. Manchmal kommt was Gutes dabei heraus, manchmal nur Mansch! Jeder hat seinen persönlichen Stil. Und Kritik sollte nicht dazu führen, dass frau blockiert wird. Es gibt auch unaufgeregte Schreibereien, die mitreißen können. Vielleicht mögt ihr ja mal hier lesen: https://www.kleinmexiko.de/
unter Alltägliches.

testsiegerin - 26. Nov, 18:39

natürlich hat jeder einen anderen blickwinkel und einen anderen geschmack.
trotzdem ist mir kritik willkommen und bringt mich auf dem weg weiter. das heißt nicht immer, dass ich sofort etwas ändere, aber sie regt zumindest immer zum nachdenken und hinterfragen an.
die kritik von bonanzamargot fand ich sachlich und freundlich. ein problem mit kritiken hab ich in erster linie dann, wenn ich das gefühl hab, es geht dem kritiker darum mich zu verletzen. (das gelingt den kritikern bei mir ziemlich oft und leicht). aber mittlerweile hab ich gelernt, diese unterschiedlichen formen der kritik auseinanderzuhalten.

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
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