Liebes Publikum

... liebe Leser und Leserinnen, liebe Zuhörer und Zuhörerinnen,

keine Angst, das wird keine Publikumsbeschimpfung.
Aber ein bissl komisch seid ihr schon, das müsst ihr zugeben.
Texte, an denen ich wochenlang säge, hoble, schleife und feile, nehmt ihr gleichültig und ohne große Emotionen zur Kenntnis. (Wie die Woche im Bett, zum Beispiel, oder die Geschichten des jungen Römers.) Dahingerotzte Briefe ans Leben, bescheuerte Briefe an Bäume hingegen oder wütende Wortausbrüche scheint ihr zu lieben. Gedichte mit schlechten Reimen, die ich nur schreibe, um mir die Langeweile und die Phantomzahnschmerzen zu vertreiben, findet ihr witzig, manche Wortspiele und Metaphern, über die ich lange nachgedacht und noch länger geschrieben hab, bemerkt ihr nicht mal. Oder äußert euch nicht dazu, was weiß ich.
Ihr esst vermutlich auch gern bei McDonalds, oder? Aber ist schon o.k., jeder kann essen, was er will. (Außer kleine Kinder.) Und wer will sich schon ständig an Gourmet-Küche überessen? (Außer dem Steppenhund vermutlich)
Wisst ihr eigentlich, wie glücklich ihr mich trotzdem macht? Und wie süchtig? Wisst ihr, was für ein geiles Gefühl das ist, wenn ihr an meinen Lippen und Zeilen hängt und in meinen Worten zu Wachs werdet?
Wisst ihr, dass ich hauptsächlich für euch schreibe? Für mich natürlich auch, aber ohne euer Feedback, ohne eure Kritik, ohne eure Zustimmung hätte ich mich nicht weiterentwickelt. Und schon beim Schreiben seid ihr fester Bestandteil des Textes geworden, sitzt im Publikum, rümpft die Nase, rollt die Augen, lacht oder wischt verschämt eine Träne aus den Augen. Eigentlich schon früher, nämlich bei Erleben, wo ich überlege, wie ich euch die Geschichte so erzähle, dass ihr sie gerne lest, da ein bisschen weglasse und dort ein wenig ausschmücke und lüge.

Früher einmal wollte ich, dass möglichst viele Leute meine Bücher kaufen und ich berühmt bin. Ein bisschen will ich das natürlich immer noch, weil dann hätte ich keine Angst vor der nächsten Stromrechnung, aber tausendmal lieber ist mir der Kontakt mit denen, die mich lesen und hören, mit euch also. Die intime Atmosphäre, wo ihr einen Teil meines Lebens mit mir teilt, euch berühren lasst von mir und meinen Texten. Ich liebe den magischen Moment, wo sich meine Gedanken und Gefühle auf dem Weg zu euch mit euren eigenen Emotionen vermischen und in eure Poren und Herzen eindringen.
Ja, ich weiß, ich bin schon wieder gefühlsduselig. Aber ihr müsst euch jetzt vorstellen, dass ich das ganz nüchtern und neutral lese, dann kommt das nicht so pathetisch daher. (Ein Tipp meiner Sprechtechniktrainerin)

Ich hab euch das noch nie gesagt, glaube ich, aber ich liebe euch. Ihr macht mich glücklich, weil ihr euch von mir beschenken lasst und mir dadurch selbst so viel schenkt. Eure Aufmerksamkeit, eure Präsenz, euren Applaus. Ihr schenkt mir euer Lachen, eure Nachdenklichkeit, das Glänzen in euren Augen. Aber auch eure Kritik, die zwar manchmal weh tut, die mich aber wachsen lässt. Hab ich mich jemals dafür bedankt? Wenn nein, tue ich das jetzt. Danke auch, dass ihr mich aushaltet, wie ich bin. Mit meiner Wehleidigkeit, meiner Selbstverliebtheit und dem Selbstvertrauen, das schwankt wie eine Hängebrücke im Sturm.

Dieses Glück, das ich empfinde, weil es euch gibt, das ist kein flüchtiges Glück wie nach einer Tafel Zotter-Schokolade "Kandierte Preiselbeeren mit Steinpilzen*", das ist ganz tief empfundenes Glück, verrührt mit Dankbarkeit, überzogen mit Stolz. Das empfinde ich nicht nur am Abend einer Lesung, das hallt lange in mir nach. Und ermutigt mich, weiterzuschreiben. Für mich. Vor allem aber für euch.

*Eine dunkle Schokolade von erdiger Wildheit. Zart und herb ist das Geschmacksbild der kandierten Preiselbeeren, die als rote Farbwunder auf einer delikaten Canache aus getrockneten Steinpilzen und Grappa ruhen.
david ramirer - 2. Nov, 12:59

auch wenn du es vielleicht noch nicht gesagt hast: ich habe es gespürt, vom ersten bis zum letzten wort, und war damit sicher nicht alleine.

kepkezkem - 2. Nov, 13:26

Ich bin mir sicher, dass deine Gedichte nicht weniger oft gelesen werden als andere Texte.
Nur - was soll man dazu kommentieren? Eine Wurst aus "sehr schön" wäre das Ergebnis - ganz einfallslos :)

Mach weiter so, ich finde sie gut, auch weil sie oft ein wenig nachdenklich sind.
testsiegerin - 3. Nov, 18:30

@ david ramirer: das ist schön, wenn du das gespürt hast. ich hab auch gespürt, dass ihr ganz bei mir wart. und hab das sehr genossen.

@ kepkezem: eh wäre eine wurst aus "sehr schön" langweilig. wenn ich lese und nach einem gedicht schweigen die leute, da spüre ich meistens, ob das angekommen ist oder nicht.
wenn ich es hier veröffentliche und kein mensch sagt was dazu, dann bin ich auf meine interpretation des schweigens angewiesen. und selbstkritisch, wie ich bin, denk ich mir dann: war offensichtlich scheiße und keiner traut sich das zu sagen.
Mirtana - 2. Nov, 13:53

Hat Ihnen schon jemand gedankt, daß Sie Ihr Leben auf diese Art mit uns teilen und uns beschenken? Wenn nicht, dann tue ich das jetzt: Vielen Dank dafür von einer sonst stummen Mitleserin.

testsiegerin - 3. Nov, 18:31

Bitte gern.
Und ja, immer wieder danken mir Leute. Nach Lesungen bekomm ich oft wunderschöne Mails. Dann denk ich mir: Es gibt Millionen Leute, die besser schreiben. Ob die aber die Menschen auch so berühren können?
bonanzaMARGOT - 2. Nov, 14:36

du sprichst etwas sehr wichtiges an, barbara: ohne die kritik, ohne den zuspruch, ohne die aufmerksamkeit eines publikums entwickelt man sich kaum weiter.
jede antwort, jede bemerkung ist wie ein streicheln. die schriftstellerseele atmet auf und fühlt sich zu neuen schandtaten ermutigt. es ist nicht anders als bei jeder tätigkeit - ich denke da jetzt mal exemplarisch an die hausfrauen, die tag für tag ihr werk für die geliebte familie verrichten, aber oft mit ganz wenig anerkennung auskommen müssen.
dichter und hausfrauen können sich die hand reichen. jedenfalls die meisten.
wir sind ja so dankbar, wenn ein mensch nur sagt: "das hat aber gut geschmeckt!"

gruß
bon.

soyyo (Gast) - 3. Nov, 18:40

um mit ...

bonanzamargot zu sprechen: danke, gut war's! ... ;)
testsiegerin - 3. Nov, 18:45

und manche hausfrauen sind schon glücklich, wenn der mann nicht wieder sagt: was hast du da heute schon wieder für einen scheiß gekocht?

ich glaub ja schon, dass es auch schriftsteller gibt, die von der meinung der anderen nicht so abhängig sind. ich gehör definitiv nicht dazu ;-)
la-mamma - 2. Nov, 16:44

.


irishwolfhound - 3. Nov, 07:22

*G*

genau an den • hab ich auch gerade wieder gedacht, als "kommentar", wenn einem einfach mal die spucke weg bleibt. oder man nix schreiben will …

zu gym-zeiten mussten wir gedichte analysieren. und dann war da einmal ein gedicht, welches mir einfach gefallen hat. ich wollte es nicht "analytisch zerpflücken", ich hätte den eindruck gehabt, das gedicht damit zu zerstören. ich habe als hausaufgabe geschrieben, warum ich dieses gedicht nicht analysieren mag und kann. glücklicherweise hatte ich eine sehr aufgeschlossene deutschlehrerin, die diese hausaufgabe akzeptierte und mich nicht nötigte, das gedicht zu zerstören …

in diesem sinne,
schönen wochenbeginn, eine "kinderfresserin"
testsiegerin - 3. Nov, 18:48

...

@ irishwolfhound

meine tochter hat schon gemeint: nächstes jahr kannst du mir dann helfen, gedichte zu analysieren. und ich hab geantwortet mit: den teufel werd ich tun. ich zerleg keine gedichte, ich genieße sie nur. und ich kann sagen, ob sie mir gefallen oder nicht und ob sie mich berühren und was sie bei mir auslösen. was ich nicht kann und will ist, dem autor etwas in den mund zu legen, und ihm motivationen zu unterstellen.

gib viel chili dazu, kinder sind oft noch nicht so scharf.
Uta-Traveller - 2. Nov, 16:44

Liebe Autorin,

das "Danke" reiche ich dann gerne zurück, denn deine Texte - die Geschichten und die Gedichte - faszinieren mich immer wieder (auch wenn ich nicht immer kommentiere).

Manchmal denke ich: so möchtest du schreiben können. Dann wieder: nein, das wäre nicht deine eigene Stimme.
Aber das Lesen bietet immer wieder Anregungen. Und so wie du weitermachst, weil wir hier lesen, so mache ich weiter (und andere wohl auch), weil wir immer wieder angestoßen werden.

Liebe Grüße in den Sonntag und
mögen dich die Worte nie verlassen

Uta

testsiegerin - 3. Nov, 18:49

das glaub ich auch, dass es wichtig ist, immer man selbst zu bleiben. sich zwar von anderen inspirieren zu lassen, von ihnen zu lernen, aber sie nicht zu imitieren, sondern authentisch zu bleiben.

ich werde auch nie so unglückliche und hasserfüllte texte schreiben können wie thomas bernhard oder elfriede jelinek.
deprifrei-leben - 2. Nov, 17:36

Die meisten Reaktionen auf ein Text bekommt man doch, nicht nur weil es schön geschrieben ist, davon gibts viele.
Ein Text muss auch provozieren, neue Gedankenanstöße geben und einfach anders sein. Wenn das nur so einfach wäre.

testsiegerin - 3. Nov, 18:50

Ich würde mal sagen, es muss etwas in uns zu klingen bringen. Was auch immer.
Becksi (Gast) - 2. Nov, 21:48

Danke zurück...

... für deine Texte! Ich komme gerne her zum Lesen und frage mich oft verwundert wie frau sich sowas ausdenken kann! Ich würde mir gerne eine Scheibe abschneiden.

testsiegerin - 3. Nov, 18:50

Hilfe!!!
Wenn sich alle eine Scheibe abschneiden, bleibt keine Salami mehr für mich übrig!

Danke ;-)
gerda (Gast) - 3. Nov, 07:49

tja, barbara, was soll ich sagen? du hast uns/mich auch süchtig gemacht mit deinen texten, mit deinen wortschöpfungen, mit deiner empfindsamkeit und vor allen dingen mit deiner unterschwellig immer spürbaren prallen lebenslust.
und wer dich einmal hat lesen hören, ist eh hin und weg.
hab einen schönen tag und fühl dich mal gedrückt

gerda

testsiegerin - 3. Nov, 18:51

weißt du, ich denk noch immer gern an unsere gemeinsame lesung damals. ein total schöner abend war das.

kassel ist weit weg von dir, oder?
da lese ich nämlich nächste woche.
gerda (Gast) - 3. Nov, 19:36

ca. 300 km. ziemlich weit weg. schade.
walküre - 3. Nov, 10:42

Sagt ja niemand,

dass die geschliffenen Texte nicht gut sind, aber halt mehr so in der Art wie ein schönes Schmuckstück in der Auslage eines Juweliers. Die anderen Texte kommen direkt aus dem Bauch, unzensiert durch den Wunsch nach Gefallen, und sprechen in ihrer Art den Leser ebenfalls ohne Umweg auf einer tieferen Ebene an - und das macht sie so gut. Manche deiner Texte sind wie die zufällige Entdeckung einer üppigen Schwammerlwiese bei einem Spaziergang - wenn du weißt, was ich meine.

McDonalds, übrigens, kann mir gestohlen bleiben. Ich ziehe es vor, mich diesfalls dem Steppenhund anzuschließen. :-)

testsiegerin - 3. Nov, 18:52

a propos essen. wollten wir nicht mal zum davonlaufenden sushi und probleme pubertierender mütter besprechen?
walküre - 4. Nov, 10:27

Zuerst davonlaufen und danach Sushi essen oder umgekehrt ? :-)

Ja, wir wollten. Hm. Dadurch, dass M. derzeit fast nur im Ausland ist, hab ich aber einen sehr vollen Terminkalender. Lass mich überlegen - würdest du mittags oder abends ins Hanil gehen wollen ?
testsiegerin - 4. Nov, 10:30

abends wäre schon fein.
datja (Gast) - 3. Nov, 12:40

fein wenn du spürst was dein publikum empfindet!
(ja ja, eh klar, nona)

es ist halt so wie mit dem applaus:
manchmal ists besser nicht zu klatschen sondern einfach zu schweigen, manchmal ists gscheiter nichts zu sagen.

deshalb schreib ich jetzt nichts, ausser
bis später im leben !

testsiegerin - 3. Nov, 18:52

wenn das publikum nicht klatscht, spür ich trotzdem oft, was es fühlt.
vielleicht muss ich noch lernen, hier in den leeren zeilen zu lesen ;-)
wortmeer - 3. Nov, 22:37

Ehrliche Worte! Bewundernswert! Toll!

testsiegerin - 4. Nov, 10:31

danke. war ganz leicht ;-)

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
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