Mittwoch III

„Dem Wimmer sein Bauch tut ihm weh. Er sagt, er hat’s an der Bauchspeicheldrüse.“
„Was ist das denn für ein Deutsch, Frau Schnitzler? Und sagen Sie ihm, er soll halt das fette Zeug nicht fressen, das er verkauft.“
„Ja, Herr Doktor. Ich hoffe, Sie sind bald wieder gesund“, log sie. Dann nahm sie dem Patienten Blut ab, fälschte die Unterschrift ihres Chefs und schrieb dem Fleischermeister eine Überweisung zum Ultraschall.
„Träume sind Schäume“, beruhigte Kolletschka sich, „das hat alles überhaupt nichts zu bedeuten, da kann dieser Freud erzählen, was er will.“ Aber während er wieder im Katalog blätterte, fraß sich ein furchtbarer Gedanke in seinem Gehirn fest. „Vielleicht leide ich ja nicht an einer unheilbaren körperlichen, sondern an einer psychischen Krankheit?“ Er wäre nicht das erste Genie, das die Grenze zum Wahnsinn überschritt, tröstete er sich in seiner grenzenlosen Selbstüberschätzung. Auch Robert Schumann, Vincent van Gogh und Friedrich Nietzsche litten angeblich an Schizophrenie.
Ja. Sogar dieser elende Semmelweis, der seinem Urururgroßvater zum Quadrat und damit auch ihm den Ruhm abspenstig gemacht hatte, war verrückt geworden. Zwei Wochen nach seiner Einweisung in die Irrenanstalt war er schließlich gestorben. Das geschah ihm ganz recht, diesem Mütterversteher.

„Zieh dir mal den Bademantel über, Josef. Du hast Besuch. Deine Enkelin ist da.“
Du lieber Himmel, erscheinen mir jetzt etwa all die Leute aus meinen Alpträumen? Da steht mir ja noch einiges bevor, dachte Kolletschka. Über Jasmins Besuch freute er sich allerdings, denn sie war eine der wenigen, die ihn nicht so schnell auf die Palme brachten und mit seinen Launen umgehen konnten. Gleichzeitig wickelte sie ihn oft genug um den Finger, wenn sie Geld oder eine Mitfahrgelegenheit brauchte.
„Soll ich dir etwa bei der Lateinaufgabe helfen?“, fragte er fast ein wenig ängstlich.
„Latein? Hab ich doch gar nicht, Opa Sepp. Oma hat gesagt, dass du krank bist, da hab ich mal nach dir schauen wollen.“
„Ach, alles halb so schlimm“, mimte er den Helden und wunderte sich, dass es doch tatsächlich Menschen gab, die sich um seine Gesundheit sorgten. Er schlüpfte in den Bademantel und verschwand im Badezimmer. „Ich mach mich nur schnell ein bisschen frisch.“

„Na, Maxl?“, Jasmin streichelte den Dackel, „geht’s dir wenigstens gut?“
Der schwerhörige Hund wedelte zur Antwort mit dem Schwanz.
Jasmin nahm die Dose, die hinter dem Hundekorb stand und schüttete die letzten Reste Trockenfutter in den Fressnapf mit der Aufschrift Waldi. Das Gefäß stammte noch vom vorigen Hund, aber Kolletschka war der Meinung, dass so ein Tier ohnehin nicht lesen könne und deshalb hatte er seiner Frau untersagt, einen neuen Napf zu kaufen.
„Was macht die Schule, Jasmin?“
„Die steht so vor sich hin.“
„Und was macht mein Sohn, dieser Nichtsnutz?“ Kolletschka grämte sich noch immer, dass sein einziges Kind nicht Medizin studiert hatte, sondern als Sozialarbeiter drogensüchtige Jugendliche betreute. Seine Hoffnungen ruhten in seiner Enkelin.
„Der hat schon Urlaub. Nächste Woche fahren wir nach Bulgarien.“ Jasmin verzog das Gesicht. Ihr Großvater auch.
„Bulgarien? Zu den Kommunisten, die ihre Kinder verhungern lassen? Wovon wollt ihr euch da ernähren, von Beeren und Insekten?“
„Vier-Sterne-Hotel.“ Jasmins Gesichtsausdruck wurde noch finsterer. „Ich wäre lieber mit meinen Freunden zum Zelten gefahren, nach Griechenland.“
„Mit siebzehn? Und dann noch als Mädchen! Du bist wohl von allen guten Geistern verlassen.“
„Schau, wie es dem Maxl schmeckt.“ Jasmin wechselte rasch das Thema, um sich die Chance auf ein saftiges Urlaubstaschengeld nicht zu verderben. Der Dackel schleckte den Napf gründlich aus, damit ihm keins der leckeren Kügelchen entging.
„Hast du dir eigentlich schon was für das Geld gekauft, das ich dir zum Geburtstag gegeben habe?“
Jasmin zögerte. Sie hätte sich irgendetwas einfallen lassen können. Am besten etwas Nützliches. In dieser Hinsicht war Opa Sepp wie alle anderen Großväter, die es gern sahen, wenn die Enkelkinder das geschenkte Geld in etwas Vernünftiges investierten, in Klavierstunden oder gutes Schuhwerk. Sie hätte ihm erzählen können, dass sie einen seltenen Zinnteller erstanden hatte, das wäre zwar keineswegs etwas Nützliches oder Sinnvolles, doch damit hätte sie ihn auf ihrer Seite gehabt.
Jasmin aber zählte du den wenigen Menschen, die Josef Kolletschka nicht anlogen. Deshalb drehte sie sich um, schob ihr T-Shirt ein bisschen über die Schulter und zeigte ihm ihr Tattoo. „Ein keltisches Glückssymbol. Es steht für Liebe, inneren Frieden und Reichtum.“
Josef Kolletschka schluckte. Ein Schlampenstempel. Seine Enkeltochter. Wahrscheinlich von einem drogensüchtigen Tätowierer in einem schmuddeligen Studio, mit infizierten Nadeln und ohne Handschuhe gestochen. Kolletschka hätte Jasmin gern ausge-schimpft, aber ihm fehlten die Worte. Er griff sich mit der rechten Hand theatralisch ans Herz.

Margarethe Kolletschka bereitete in der Küche einen Kaiserschmarrn mit Birnenmus und Holunderkoch zu, als sie den gellenden Schrei ihrer Enkelin aus dem Wohnzimmer hörte.
„Omaaaaa! Komm schnell! Ich glaub, er ist tot!“
Sie ließ den Topf scheppernd in die Abwasch fallen und stürmte in die gute Stube. Jasmin kauerte über dem leblosen Körper am Boden.
„Der arme Maxl“, jammerte sie.
Josef Kolletschka hatte inzwischen auch die linke Hand zu Hilfe genommen, um sich an die Brust zu fassen. „Da seht ihr es. Jetzt ist der Hund tot. Und mich habt ihr auch bald soweit.“
„Josef! Maxl!“ Margarethe lief unentschlossen von einem zum anderen. Tot war natürlich schlimmer als krank, aber dem toten Hund konnte sie ohnehin nicht mehr helfen. Außerdem jammerte der tote Hund nicht so laut wie ihr Mann. Also wischte sie diesem mit einem Handtuch den Schweiß von der Stirn.
Um Himmels Willen! Jetzt hatte sie den toten Hund angefasst und sich danach nicht die Hände desinfiziert. Es war also bald soweit. Er rückte seinen Körper im Eichenschrein zurecht und strich die Decke glatt. „Zieh mir bitte wenigstens das braunkarierte Hemd an, Margarethe“, flüsterte er matt.
„Aber was. Das ist nur von den homöopathischen Kügelchen“, besänftigte sie ihn und er nickte.
„Ich weiß“, log er, um nicht noch darüber diskutieren zu müssen, so kurz vor seinem Tod.
„Der Apotheker hat gesagt“, fuhr Margarethe fort, „es kann sein, dass sich die Symptome erst verschlimmern und es dann zur Heilung kommt.“
Kolletschka blickte auf den toten Hund: „Da bin ich aber gespannt, ob er Recht hat, der Herr Apotheker.“

Morgen: Donnerstag ;-)
la-mamma - 1. Sep, 18:34

*lach*

dabei bin war ich grad so grantig;-)

Uta-Traveller - 1. Sep, 19:02

ich lache mal herzlich mit
(auch wenn mir der Maxl Leid tut)

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
Jakob und der gewisse Herr Stinki


Barbara A. Lehner (Text) Eleonore Petzel (Musik)
Von Herzen und Seelen - CD

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