Montag, 15. Dezember 2008

Schicksalsspiel

Aus aktuellem Anlass:


„Wer gibt?“ Michael legte Holz nach, um das Lagerfeuer am Lodern zu halten.
„Karel gibt“, sagte Gabi, zog an der Zigarette und pustete den Rauch durch den fast zahnlosen Mund.
Artig nahm Karel die Karten und mischte. Dabei fragte er sich, warum er sich überhaupt die Mühe machte zu mischen. Er bekam nämlich immer schlechte Karten. Ein ganzes Leben lang schon. Nicht nur an diesem Dienstag. Nicht nur hier im Straßengraben.


„Tante Luzie, du fährst echt wie der Teufel“, schimpfte Änschie von der Rückbank. „Mir ist schon ganz schlecht.“
„Entschuldige.“ Luzie van Pelt nahm den Fuß vom Gaspedal. „Ich hatte einen schlechten Tag.“ Die schlechten Tage in ihrem Leben häuften sich.
Den Prozess heute hatte sie zwar gewonnen, ihren Freund allerdings vor ein paar Wochen verloren. Ausgerechnet an die neue Richterin.



„Zwanzig, weiter.“ Rafi steckte sich das letzte Stück Fisch in den Mund. Dann gab er die leere Katzenfutterdose an Gabi weiter, die ihre Zigarette darin ausdämpfte.
„Pagat dazu.“ An Gabis schmalen Lippen wurde die Zigarette sofort von einer Schnapsflasche abgelöst.
„Du wirst noch dich tot saufen, Madel“, schüttelte Karel den Kopf. „Mecht nich wissen, wie aussieht deine Leber.“
„Alkohol schützt unsere Blutgefäße vor Verkalkung. Sechzig Gramm am Tag und man bekommt keinen Schlaganfall“, dozierte Rafi, der einmal ein richtiger Arzt gewesen war.
„Genau. Dann kratzt man nämlich rechtzeitig vorher am Leberkoma ab.“ Michael nahm einen kräftigen Schluck aus der Flasche.
Er reichte den Lambrusco vorbei an Karel zu Gabi. „Hier, trink das. Ist nicht so stark wie dein Fusel und wärmt auch.“
Karel fühlte sich ausgeschlossen. Ein vertrautes Gefühl für ihn. Er war nur hier, weil sie einen vierten Mann zum Tarockieren brauchten. Der, mit dem sie sonst spielten und dessen Namen er sich nicht merken konnte, war im Krankenhaus.
„Warum du bist nicht mehr Doktor, Rafi?“ Der Angesprochene spuckte verächtlich ins Feuer.

„And through it all she offers me protection, a lot of love and affection”, jaulte Luzie im Duell mit Robbie Williams, während ihre Nichte sich die Ohren zuhielt. „Whether I'm right or wrong.“
„Wrong! Total wrong!“, schimpfte Änschie lauthals. „Das ist ja nicht zum Aushalten. Du singst noch schlechter als du fährst.“
Luzie trat auf die Bremse, steuerte das Auto auf den Randstreifen und drehte sich wütend um.
„Nun hör mir mal zu, du verflixte Göre…“



„Hm. Warum ich kein Arzt mehr bin?“ Rafi kraulte sich im Bart und wickelte sich fester in seine Fliegerjacke. „Weißt du, Karel, Arzt sein ist nicht wirklich so toll, wie die Leute immer glauben. Die Querulanten haben mich in den Suff getrieben und zum guten Ende hab ich einen von denen vermöbelt.“

„Können wir eine Pause machen?“, fragte Michael, der die Geschichte längst kannte. „Ich hab heute noch nicht geübt.“
Gabi stöhnte. Der Tscheche nickte. Solange Michael Posaune statt Tarock spielte, würde Karel nicht verlieren. Es folgten Tonleitern.
„Kannst du nix gescheites?“, schimpfte Rafi.
„Ich muss mich warm spielen. Und die Posaune auch.“
„So wie du spielst, erweckst du noch die Toten aus den Gräbern.“ Rafi hielt sich die Ohren zu.
„Das ist nun mal mein Job.“
„Komm, spiel was schönes für mich“, bettelte Gabi mit süßer Stimme.


Änschie heulte. In Luzies Augen schummelten sich ein paar Tränen, in ihren Kopf schlich sich Selbstmitleid und in ihren Bauch nistete sich ein schlechtes Gewissen ein. Es war ungerecht, ihre miese Laune ausgerechnet an der Kleinen ihrer Schwester auszulassen.

Thoughts running through my head
And I feel that love is dead

Wenn sie nur tot wäre, die Liebe. Dann würde es nicht so verdammt weh tun.
„Ach, Änschie. Lass uns wieder gut sein, ja? Ich kann doch nichts dafür, dass deine Mama sich den Fuß gebrochen hat und ich dich jetzt zur Klavierstunde bringen muss.“


Während Michael eine schaurig schöne Version von Tears in Heaven intonierte, griff Gabi nach seiner Weinflasche. Sie war die unbestrittene Herrscherin über alles Flüssige. Früher regierte sie als Bademeisterin im Stadtbad. Inzwischen wurde sie vom Alkohol beherrscht und war jeden Tag so blau, wie das Wasser im Freischwimmerbecken. Nur die Lilie in ihrem Haar war weiß. Und aus billigem Kunststoff.
„Vorige Woche hat sich hier einer überschlagen“, sagte sie.
„Und?“ Rafi mischte die Karten bereits zum siebzehnten Mal.
„Sofort tot.“
Das medizinische Interesse in Rafi war noch immer lebendig. „Woran ist er gestorben?“
„Woher soll ich das wissen?“, fauchte ihn Gabi an. „Ich war ja nicht da. Sonst würde er nämlich noch leben. Und jetzt sei still, ich will zuhören.“
„Ist sich eh gefährliche Kurve, oder?“ Karel betrachtete den abgefahreren Randstein.
Rafi blickte vom Mischen auf. „Wären wir sonst hier?“


„Du lieber Himmel, schon fünf vor vier. Wir kommen zu spät. Und jetzt fährt da vorn noch ein Traktor.“
Luzie beschleunigte ihren Lancia Phedra und zog lässig auf die linke Spur.
„Ich glaub, ich muss kotzen“, jammerte Änschie.


Michael verstaute die Posaune sorgfältig in seinem Koffer. Alles andere hatte er seiner Frau gelassen. Das Haus. Das Geld. Das Auto. Die Kinder.
„So, weiter geht’s.“ Er warf ein paar alte Äste ins Feuer. „Jetzt hätt ich gern ein sensationelles Blatt, bitte.“
Karel seufzte. „Wer hätte das nicht gern?“
„Wehe, es meckert einer, ich hätte nicht genug gemischt“, grummelte Rafi. „Die Karten qualmen ja schon. Du rufst, Michael.“
„Zwanzig, weiter.“
„Solo pagat.“ Zum ersten Male sahen die anderen Karel lächeln.
„So spiel endlich!“ Gabi nuckelte an der Schnapsflasche.


„Kotz mir bloß nicht auf die Polster. Hier nimm das.“ Luzie hielt Änschie ein Plastiksackerl vom Hofer hin. Änschie würgte. Und damit ihr selbst nicht auch schlecht wurde, drehte Luzie die Musik lauter.

Wherever it may take me
I know that life won't break me

Plötzlich war es da. Das Auto. Änschie schrie und kotzte daneben. Luzie schrie und verriss das Lenkrad.


Michael spielte aus. Karel stach. Er hatte sieben hohe Tarock in der Hand, darunter Sküs und Mond, und den Herzkönig noch dazu. Das konnte nicht schief gehen. Aber es ging schief. Wütend schmiss Karel die Karten ins Feuer. Lag es tatsächlich an ihnen, dass er ständig verlor? Oder vielleicht einfach nur daran, wie er sie ausspielte?

„Jessas“, lallte Gabi. „Was geht denn da ab?“
Michael glotzte verdattert in ein Paar flackernde Scheinwerfer und hielt sich die Hand vors Gesicht.
Rafi sprang auf, stolperte aber über den Posaunenkoffer. „Herrgottsakra!“
Karel hatte längst den Straßenrand erreicht. Nicht umsonst war er mal tschechischer Jugend-Vizemeister im Hürdenlauf gewesen. Wie ein Fußballspieler grätschte er in den schleudernden Lancia und erwischte ihn am Hinterrad. Der Wagen drehte eine Pirouette, blieb aber auf der Straße.
Der entgegenkommenden Volvo schlitterte in die Beifahrerseite des Lancia. Der Fahrer blieb unverletzt. Der Bauer wusste nicht, wie ihm geschah, wich aber mit seinen Zuckerrüben ins Maisfeld aus.


Luzie zitterte am ganzen Körper. „Änschie!“, schrie sie im Schock, „jetzt kommen wir zu spät in die Klavierstunde!“
„Nicht so schlimm“, flüsterte Änschie. „Ich hab eh nichts geübt.“


„Sauber. Nicht mal Uriel hätte das geschafft.“ Rafi klopfte Karel anerkennend auf die Schulter. „Wo hast du das gelernt?“
„Nix gelernt. Engel kann das halt. Wenn ist nüchtern.“

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
Jakob und der gewisse Herr Stinki


Barbara A. Lehner (Text) Eleonore Petzel (Musik)
Von Herzen und Seelen - CD

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